Die Provenienzforschung an Bibliotheken, Museen und Archiven erlangte vor allem durch den systematischen Kulturgüterraub der Nationalsozialisten eine spezifische Bedeutung. Das Erkenntnisinteresse an der Objektbiografie ist nicht nur von der Forschungsfrage nach Herkunft und Besitzwechsel geprägt, sondern unterliegt politischen, juristischen und (erinnerungs-)kulturellen Rahmenbedingungen.
Vor mehr als 25 Jahren wurden im Rahmen der Washingtoner Conference on Holocaust Assets die Washington Principles veröffentlicht. Die Selbstverpflichtung von 44 Staaten zur proaktiven Suche nach NS-verfolgungsbedingten entzogenen Kulturgütern in den Beständen der staatlichen Einrichtungen nahm international langsam Fahrt auf. Das österreichische Kunstrückgabegesetz von 1998 – kurz vor der Washington Conference erlassen – verpflichtet staatliche Museen zur Provenienzforschung und Klärung der Eigentumsverhältnisse und wird international beachtet. Seither setzen sich die Bundesmuseen sowie die Österreichische Nationalbibliothek kritisch mit ihrer Erwerbungspolitik auseinander, wie im von Birgit Kirchmayr und Pia Schölnberger herausgegeben Jubiläumsband „Restituiert. 25 Jahre Kunstrückgabegesetz in Österreich“ dargelegt wird.
Der Bibliotheksbereich unterliegt – bis auf die Österreichische Nationalbibliothek und zum Teil die Universitätsbibliothek Wien – nicht dem Kunstrückgabegesetz und sieht sich daher mit anderen Bedingungen konfrontiert. Bereits 1999 begann die Stadt Wien Provenienzforschung in der Wienbibliothek im Rathaus als erste Bibliothek zu betreiben. Die Stadt Wien zieht in ihrem Jubiläumsband „In gutem Glauben erworben“. 25 Jahre Restitutionsforschung der Stadt Wien Bilanz, über die Forschungsarbeit, die mehr als 70 Restitutionsfälle in der Wienbibliothek im Rathaus und dem Wien Museum bearbeitet hatte. Die Buchpräsentation findet am 23. April 2024 im Wien Museum statt. Information und Anmeldung: https://www.wienmuseum.at/event/524
2004 folgte die Universitätsbibliothek Wien als erste Universitätsbibliothek mit einem Provenienzforschungsprojekt, dass schließlich Verstetigung erreichen konnte und dieses Jahr das 20-jährige Jubiläum begeht. An viele Bibliotheken in Österreich wurde und an einigen wird geforscht – abhängig von finanziellen und personellen Ressourcen. Die projektierte Forschung mag ein Startschuss sein – da die Provenienzforschung aber eine Daueraufgabe und Grundlagenarbeit einer sammelnden Einrichtung ist, ist die Verstetigung unabdingbar.
In der VÖB-Kommission für NS-Provenienzforschung tauschen sich seit 2008, damals als Arbeitsgruppe gegründet, die an österreichischen Bibliotheken engagierten Provenienzforscher:innen aus und sind darüber hinaus in den internationalen Arbeitskreises vernetzt.
Am 10. April 2024 stellt der Tag der Provenienzforschung die Forschung zu entzogenen Kulturgütern aus kolonialen Kontexten, DDR-Unrecht und NS-Raubgut in den Fokus. Der Tag wurde vom Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. initiiert 2019 und versammelt Veranstaltungen, Publikationshinweise und Angebote aus vielen Institutionen in verschiedenen Ländern.
Dieses Jahr sind aus Österreich die Universitätsbibliothek Wien (UBW) neben der Kommission für Provenienzforschung, dem MAK Museum für Angewandte Kunst in Wien und dem Weltmuseum Wien vertreten. Im Zuge der NS-Provenienzforschung an der UBW wurden verschiedene Provenienzen jüdischer Frauen des Wiener Bildungsbürgertums aufgefunden, die sich im Kampf um Gleichstellung und Frauenrechte beteiligten. Link zur Publikation
Allen Interessierten sei das umfangreiche Programm on- und offline ans Herz gelegt, um sich eingehender mit Provenienz von Kulturgütern auseinanderzusetzen.