ÖNB: Bleistift, Heft & Laptop. 10 Positionen aktuellen Schreibens (16.4.2016 – 12.2.2017)

Die erste Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek vermittelt ein lebendiges und ungemein vielfältiges Bild der österreichischen Gegenwartsliteratur. Zehn österreichische SchriftstellerInnen – fünf Frauen und fünf Männer – waren eingeladen, sich, ihr Werk und ihre Zugänge zum Schreiben zu präsentieren. Ihre individuellen Positionen gehen dabei weit über das Medium der Sprache hinaus: Bildnerische, grafische und darstellende Arbeiten werden ebenso gezeigt wie künstlerische Kooperationen. All diese Objekte und Installationen vermitteln überraschende Einblicke in das Entstehen von Texten, in Schreibbiografien und die „Werkstätten“ von GegenwartsautorInnen.

2015 verwandelte sich das ehemalige Finanzarchiv der Donaumonarchie in einen schillernden, multimedialen Ort der Literatur, der nicht nur das fertige Produkt „Buch“, sondern vor allem den spannenden Prozess seiner Entstehung und seiner öffentlichen Wahrnehmung veranschaulicht. Die Dauerausstellung im 1. und 2. Stock des Grillparzerhauses zeigt dabei anhand zahlreicher Beispiele aus dem 19. und 20. Jahrhundert, wie sehr sich die österreichische Literatur durch Doppelbegabungen und Grenzgänge zwischen den Künsten auszeichnet. Die erste Sonderausstellung des Literaturmuseums im 3. Stock knüpft genau hier an: „Bleistift, Heft & Laptop“ illustriert, wie sich die Literatur im 21. Jahrhundert unter dem Eindruck der Medien und der Globalisierung, in Konfrontation mit einer allgegenwärtigen Flut an Bildern, Zitaten, Fotografien und Tönen verändert. Die AutorInnen nähern sich den Phänomenen Intuition und Inspiration, sie fragen danach, wie wichtig Recherche und Lektüre für das Schreiben sind, wodurch Schreibprozesse ausgelöst und wie Ideen und Konzepte in Literatur umgesetzt werden.


Aber kann man Literatur überhaupt ausstellen?
Schließlich ist das Ergebnis einer literarischen Arbeit kein einmaliges Original, sondern ein mehr oder weniger oft gedrucktes Buch; und auch das immaterielle Produkt, der Text im Netz oder das E-Book, wird vielfach abgerufen, ist kein Unikat wie ein Gemälde oder eine Zeichnung. Brigitta Falkner, Hanno Millesi, Richard Obermayr, Teresa Präauer, Kathrin Röggla, Ferdinand Schmatz, Clemens J. Setz, Thomas Stangl, Gerhild Steinbuch und Anna Weidenholz zeigen eindrücklich, dass man diese Frage mit Ja beantworten kann. Sie präsentieren in den denkmalgeschützten Archivregalen aus dem 19. Jahrhundert ihre gegenwärtige Arbeit mit Stift und Papier, mit Tastatur und Bildschirm. Bemerkenswert dabei ist, dass sie alle ihr Werk über das Wechselspiel mit anderen künstlerischen Techniken definieren: Zeichnungen, Fotos, Videos, Film- und Theaterausschnitte, Musik, Tonaufnahmen, Installationen, Montagen, historische Fundstücke und vieles mehr sind Teil ihrer Schreibprozesse. Sie verdeutlichen, wie unterschiedliche Medien literarische Ausdrucksformen erweitern und ergänzen. Sie bereichern die Literatur, indem sie die Grenzen des Textes überschreiten, Ideen in anderen Medien weiterspinnen und in neuen Formaten aufgreifen. Und sie geben einen Einblick in die Vielgestaltigkeit heutiger literarischer Ausdrucksformen. Am Ende eines literarischen Produktionsprozesses steht nämlich längst nicht mehr „nur“ das gedruckte Buch, sondern auch die Übersetzung von Texten in Filme, in Hörspiele, in Theaterszenarios; Bilder und Töne gehen Verbindungen mit ganz verschiedenen sprachlichen Elementen ein.

Wie werden überhaupt aus Einfällen Gedichte, Theatertexte, Erzählungen oder Romane? Woran entzünden sich die Einfälle? Was wird aus den Einfällen im Verlauf der Arbeit am Text? Den KuratorInnen von „Bleistift, Heft & Laptop“ – der Schriftstellerin Angelika Reitzer und dem Literaturwissenschaftler Wolfgang Straub – ging es bei der Zusammenarbeit mit den AutorInnen nicht um eine wissenschaftliche Dokumentation oder einen repräsentativen Querschnitt durch die Literatur, sondern um einen unakademischen Blick auf die Schreibpraxis und Poetik einer zeitgenössischen AutorInnengeneration, die zwischen 1953 und 1984 in Österreich geboren wurde. Es ging um zehn subjektive, individuelle und somit unvergleichliche Positionen literarischer Arbeit: Brigitta Falkner erweitert mit ihren grafischen Arbeiten, Filmen und dreidimensionalen Objekten den traditionellen Literaturbegriff. Mit dem Verhältnis von Text und Bild beschäftigt sich auch Hanno Millesi in seinen von Wort- und Bildwitz geprägten Collagen, in seiner Prosa ist die verschobene Wahrnehmung der (Alltags-)Wirklichkeit Thema. Richard Obermayrs Romane handeln von Erinnerungslandschaften und dem Festhalten der Zeit, wofür auch das Medium der Fotografie einstehen kann. Für die Autorin und bildende Künstlerin Teresa Präauer sind Texte, Zeichnungen und Bilder unmittelbar aufeinander bezogen, ihr Beitrag bezieht sich ironisch auf die der Autorin regelmäßig gestellte Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Kunst. In Prosa- und Theatertexten, in Hörspielen und filmischen Arbeiten verarbeitet Kathrin Röggla ihre Recherchen zur Arbeitswirklichkeit von z. B. Sicherheitsmanagern in Atomkraftwerken, von Consultern, von PraktikantInnen. Anna Weidenholzers Prosa thematisiert den zentralen Stellenwert von Arbeit und deren Verlust ebenfalls auf Basis von Interviews und Recherchen. Ferdinand Schmatz wiederum interessiert sich in seinen experimentellen Texten für sprachliche Strukturen und die Übergänge zu Bild und Musik; im Zentrum seines Beitrags steht das Alphabet. Clemens J. Setz schreibt absurd-komische, fantastische und abgründige Texte, die stark von den sozialen und neuen Medien geprägt sind. Er präsentiert Texte zu Bildern der Künstlerin Katharina Weiß. In Thomas Stangls genau recherchierten und zugleich poetischen Romanen werden Städte und Topografien erkundet, wie das historische Timbuktu oder das Wien der Gegenwart. Gerhild Steinbuchs Theatertexte schließlich greifen Themen aus Populärkultur und Hollywoodkino auf. Im Dialog mit der Bühnenbildnerin Philine Rinnert werden Ton und Bild, Raum und (Alltags-)Gegenstände zu Bühnen für den geschriebenen Text.

Quelle/Pressemeldung ÖNB: http://www.onb.ac.at/services/pressefotos.php?foto=bleistift_heft_laptop

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