ÖNB-Ausstellung: Handschriften und Papyri: Wege des Wissens

Vor Gutenbergs epochaler Erfindung des Buchdrucks war die Vermittlung von Wissen ein schwieriges Unterfangen. Dennoch wurden viele antike Texte über sprachliche und religiöse Grenzen hinweg abgeschrieben und weitergereicht und so für uns aufbewahrt. „Handschriften und Papyri“, die neue Sonderausstellung im Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, bietet spannende Einblicke in diese oftmals verwinkelten Wege des Wissens. Über 50 Exponate – von einem der ältesten erhaltenen lateinischen Privatbriefe auf Papyrus bis zum kostbaren Pergamentcodex des Mittelalters – illustrieren eindrucksvoll die Gestaltung und Bewahrung von Texten in Zeiten, als „copy and paste“ noch mühevolle Handarbeit war.Im Focus stehen die Klassiker des Altertums von Homer bis Vergil, aber auch Texte des römischen Rechts. Originale Briefe verdeutlichen zudem die Besonderheiten des privaten Wissenstransfers und machen so den Alltag der Antike lebendig. Die gezeigten Objekte stammen alle aus den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek und dokumentieren die vielfältigen Bemühungen der Menschen um den Zugang zu Bildung und Literatur, illustrieren aber auch die Verbreitung von Nachrichten über die oftmals weit gespannten Netze der Kommunikation. Fast alles, was wir heute an schriftlichem Kulturgut des Altertums besitzen, ist uns über diese „Wege des Wissens“ überliefert worden.

Wissen ist Macht

Der heute viel verwendete Begriff der „Wissensgesellschaft“ ist relativ jung. Erst in den späten 1960er Jahren von amerikanischen Soziologen und Wirtschaftstheoretikern geprägt, hat er uns für jenes kostbare Gut sensibilisiert, das nicht nur in den Wissenschaften, sondern längst auch in der Wirtschaft zum entscheidenden Erfolgsfaktor geworden ist. Der Zugang zum Wissen und die Weitergabe von Information haben aber natürlich auch schon davor in allen gesellschaftlichen Bereichen eine entscheidende Rolle gespielt.

Vor der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert musste jedoch jede Art der Publikation mühevoll von Hand kopiert werden. Die Medien dieser Vermittlung und des Austausches waren in der antiken Welt die Papyri, im Mittelalter die Handschriften und Urkunden auf Pergament. Sie alle waren Handarbeit und damit kostbare Unikate mit entsprechend kleinen „Auflagen“.

Reisen des Wissens

Abgesehen von der aufwändigen Produktion war auch der Versand ein heikles und riskantes Unterfangen. Während die römischen Kaiser über einen wohlorganisierten Depeschendienst und die mittelalterlichen Herrscher über bewaffnete Kuriere verfügten, waren alle anderen Menschen auf private Boten angewiesen. Bisweilen lassen uns Besitzervermerke die Reisen der Bücher nachvollziehen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Werk des berühmten römischen Geschichtsschreibers Titus Livius, der um die Zeitenwende lebte. Die ausgestellte Livius-Handschrift stammt aus dem 5. Jahrhundert und setzt sich aus 193 feinen Pergamentblättern zusammen. Aufgrund der Vermerke erscheint es am wahrscheinlichsten, dass der Codex von einem angelsächsischen Missionar im Zuge einer Romreise über die Alpen gebracht wurde und auf diesem Weg in das niederländische Handelszentrum Duurstede gelangte. Im 16. Jahrhundert wurde der Codex, der mittlerweile Bestandteil der Bibliothek des Klosters Lorsch geworden war, in schlechtem Zustand wiederentdeckt; nach weiteren Stationen erwarb Erzherzog Ferdinand II. das Werk, aus der Büchersammlung auf Schloss Ambras wurde die Handschrift schließlich im Jahr 1665 von der kaiserlichen Hofbibliothek in Wien erworben.

So wie wertvolle Handschriften wurde auch die persönliche Korrespondenz durch Boten transportiert. Mit etwas Glück wurde der Brief über den konkreten Anlassfall hinaus aufbewahrt und ist so heute eine wichtige Quelle für das Alltagsleben in der Antike. Ein besonderes Beispiel dafür sind die sogenannten „Drei Briefe an Macedo“, die ältesten im Original erhaltenen Zeugnisse lateinischer Briefkultur. Die Papyrusbriefe aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. haben viele Eigenschaften, die uns auch heute noch vertraut sind: Absender, Empfänger und Gruß stehen in den ersten Zeilen; der lateinische Abschiedsgruß „Vale“ und ein Datum bilden den Abschluss.

Netzwerk des Wissens

Um die neueste Nachricht zu erfahren oder an ein bestimmtes Buch zu gelangen, musste man über weit gespannte Kontakte und ein entsprechendes Netzwerk verfügen. Besonders engmaschig war dieses Netz zwischen Bibliotheken und Gelehrten im Mittelalter, die für einen Großteil der Wissensvermittlung verantwortlich zeichneten. Die Exponate der Schau thematisieren die komplexen Prozesse bei der Überlieferung der lateinischen und griechischen Autoren und zeigen die vielfältigen Formen der Rezeption: Kopien, Übersetzungen, Kommentare. Ein besonders schönes Beispiel ist die eher luxuriöse Handschrift aus dem 13. Jahrhundert mit Basistexten zur Rhetorik: Neben mehreren Abschriften des antiken „Klassikers“ Cicero fand der Schreiber auf dem wertvollen Beschreibstoff Pergament noch Platz für ein passendes Lehrgedichtes aus dem 11. Jahrhundert. Der Inhalt des Codex wurde immer wieder studiert und schließlich im 14./15. Jahrhundert noch durch eine bemerkenswerte Sammlung von Rhetorik-Zitaten aus dem 13. Jahrhundert angereichert.

Lücken in der Wissensweitergabe

Eine beträchtliche Anzahl von Werken berühmter Literaten, Philosophen und Historiker des Altertums ging für immer verloren. Ein wesentlicher Grund dafür war sicher der Wechsel des Beschreibmaterials: Der Übergang von der brüchigen Papyrusrolle zum beständigeren Pergamentcodex war im 5. Jahrhundert im Wesentlichen abgeschlossen. Alles, was beim Kopieren von Rolle auf Codex nicht berücksichtigt wurde, wurde auch später nicht mehr kopiert und ging dadurch in den allermeisten Fällen für immer verloren.

Auch Feuersbrünste, Raubzüge und Kriege waren wichtige Gründe für die lückenhafte Überlieferung. Die größte Bedrohung war jedoch der „Zeitgeist“. Die Entscheidung darüber, welche Bücher es wert waren, wieder abgeschrieben zu werden, war von den Interessen einzelner Personen und dem Geschmack der jeweiligen Zeit geprägt. So bewirkten die politischen Umbrüche von der Antike zum Mittelalter einen folgenreichen Selektionsprozess in der Überlieferung älteren Schrifttums. Verstärkt wurden diese Umbrüche durch die zeitgleiche Verschiebung der Werte und Weltanschauungen vom heidnischen Rom hin zum christlichen Abendland, zumal die Handschriften dann fast ausschließlich in Klöstern abgeschrieben wurden. Dennoch verdanken wir nahezu alles, was von den klassischen Autoren der Griechen und Römer erhalten geblieben ist, der fleißigen und sorgfältigen Schreibarbeit der Mönche und ihrer Begeisterung für die Literatur der Antike.

Wie verschlungen die Wege des Wissens und der Wissensweitergabe sein können, lässt sich auch gut an der „Naturgeschichte“ von Plinius dem Älteren zeigen: Seine „Naturalis historia“, eine bemerkenswerte Enzyklopädie der Naturgeschichte aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., galt irgendwann als überflüssig; die Spannbreite an Themen, die in ihr behandelt werden, ging weit über das hinaus, was für grundlegende religiöse oder administrative Tätigkeiten benötigt wurde. Zum Wegwerfen war die Pergamenthandschrift anscheinend dennoch zu schade und wurde daher recycelt. Teile davon wurden in einem Papyruscodex wiederentdeckt, nämlich in der Abschrift „De trinitate“ („Über die Dreifaltigkeit“) des bedeutenden lateinischen Kirchenschriftstellers Hilarius von Poitiers. „Naturalis historia“ wurde zerschnitten und mitgebunden, um „De trinitate“ zu verstärken, damit die durch die Blätter gezogenen Heftfäden die Papyrusblätter nicht zerschneiden – ähnlich wie Verstärkungsringe für Papier in modernen Ringmappen. Auch diese Sonderform der Wissensweitergabe ist also in der Ausstellung „Handschriften und Papyri“ durch außergewöhnliche Objekte dokumentiert.

Zur Ausstellung: https://www.onb.ac.at/museen/papyrusmuseum/sonderausstellungen/handschriften-und-papyri-wege-des-wissens-vorschau/#c55112

Quelle: https://www.onb.ac.at/ueber-uns/presse/pressemeldungen/handschriften-und-papyri-wege-des-wissens/

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