Bibliothekartag: Festvortrag von Rüdiger Wischenbart online

Am Dienstag, dem 15. September 2009, fand die Eröffnung des 30. Österreichischen Bibliothekartages in Graz statt. Den Festvortrag hielt der bekannte, in Graz geborene Literaturwissenschaftler und Journalist Rüdiger Wischenbart zum Thema: »Das Universum (das andere die Bibliothek nennen)«: Drei Variationen auf Jorge Luis Borges zum österreichischen Bibliothekartag 2009.

Abstract

Die aktuellen Debatten um Digitalisierung, Urheberrecht und um die Zukunft von Büchern und Lesen im digitalen Zeitalter haben mit einem Schlag auch die Arbeit und die Zukunftsperspektiven von Bibliotheken als Thema ins Rampenlicht gestellt. Nach Jahren zumeist schwindender öffentlicher Budgets für die kulturelle Grundversorgung mag sich manch ein Beobachter wundern über solch einen plötzlichen Zuwachs an öffentlicher Aufmerksamkeit.

Worauf aber beruht die kulturelle Bedeutung von Bibliotheken? Wofür stehen Bibliotheken im weiteren Zusammenhang der geistigen Erinnerungstraditionen? Warum wechselt das Ansehen von Bibliotheken immer wieder zwischen symbolischer Überhöhung und pragmatischer Vernachlässigung? Und nicht zuletzt: wie ist es um den gesellschaftspolitischen Stellenwert von Buch und Lesen angesichts der Umbrüche der Wissensgesellschaft bestellt?

In einem essayistischen Streifzug wird ein Bogen von den Ursprüngen der abendländischen Bibliotheksgeschichte in den Klöstern des Mittelalters zu den aktuellen Kontroversen um digitale Lese- und Publikationswelten geschlagen.

Der gesamte Vortrag kann in der Perlentaucher-Kolumne „Vikutalienmarkt“ von Rüdiger Wischenbart nachgelesen werden:

Vier politische Variationen auf Jorge Luis Borges

„Das Universum (das andere die Bibliothek nennen)“, heißt es bei Jorge Luis Borges. „Das Universum, das andere die Bibliothek nennen“ – und nicht umgekehrt: die Bibliothek als Universum -, diese freche Volte bringt uns augenblicklich in Startposition für eine Erkundung dessen, was wir in Bibliotheken suchen mögen, wenn heute, so hört man es doch allerorten, Informationen und Wissen den Raum einfach durchdringen, bis zur Allgegenwart und zur vermeintlichen Auflösung der Orte für dieses Wissen.

Vermutlich besteht die eigentliche Provokation des aktuellen Umbruchs nämlich nicht in den digitalen Technologien, sondern in diesem Umsturz der Verhältnisse: Die digitale Revolution bringt die Bücher – das Universum – direkt in die Tasche der Lesenden, so wie sie schon zuvor die Musik direkt in deren Ohren gebeamt hat. Sie trivialisiert den Zugang zum Wissen, der früher nur ein Vorrecht weniger Eingeweihter war. Und das ist gut so!

Das aber ist das genaue Gegenteil von Borges‘ Aleph unter der Kellertreppe: Kein Ort, der aus Versehen oder Missachtung weggerissen werden kann, sondern tatsächlich ein Universum, das wir mit Fug und Recht auch eine Bibliothek nennen können.
So verändert sich vieles – jedoch nicht das eigentliche Wesen der Bibliothek, also die – symbolisch – ineinander verschachtelten sechseckigen Räume und die niedrigen Brüstungen, wo das Wissen weniger gelagert, als aufbereitet, organisiert, und zugänglich gemacht werden muss.

Hier neuerlich Dienst am Wissen und an den Lesenden zu organisieren, das ist gewiss eine große Aufgabe, aber aus Ihrer Sicht wohl sehr vertrautes Terrain. Verteidigen Sie deshalb Ihre Autonomie wie jene der alten Klöster, organisieren Sie ihre Häuser so gut wie damals in Cluny, seien Sie wach und der Zukunft und den immer neuen Verwandlungen zugewandt, verteidigen Sie den freien Zugang zum Wissen, für das Sie einstehen. Beharren Sie also bitte auf ihrem Terrain – und lassen Sie sich nicht, unter welcher Parole auch immer, für die Schlachten anderer einspannen.

Als Leser hoffe ich auf Sie, und ich bin guten Mutes, dass Ihnen dies auch diesmal wieder gut gelingt.

Quelle: http://www.perlentaucher.de/artikel/5758.html

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