Wissen über die Zukunft zu erlangen und die Zukunft zu den eigenen Gunsten zu beeinflussen, das war schon vor Tausenden Jahren eine Sehnsucht der Menschen. Auch in Ägypten wollten Privatpersonen genauso wie Staatenlenker mit Prophezeiungen und Orakelsprüchen der Zeit ein kleines Stück voraus sein.
Die Österreichische Nationalbibliothek beherbergt in ihrer Papyrussammlung zahlreiche außergewöhnliche Objekte zu diesem Themenkreis. Über 70 dieser einzigartigen historischen Schätze aus mehr als 1.800 Jahren ägyptischer Geschichte werden in der aktuellen Ausstellung „Orakelsprüche, Magie und Horoskope“ präsentiert. Verfasst in ägyptischer, griechischer, koptischer und arabischer Sprache und Schrift, gewähren sie im Papyrusmuseum einen faszinierenden Blick in die Zukunft der Vergangenheit.
Die erhaltenen Schriftstücke sind dabei nicht nur ein Zeugnis von den Wahrsagepraktiken selbst, sondern vermitteln vor allem einen authentischen Eindruck vom Alltag der Menschen, von ihren Vorstellungen, Wünschen und Befürchtungen. Die Fragen und Themen, die sie beschäftigten, waren damals oft die gleichen wie heute: Wie steht es um mein Liebesglück? Was sagen die Götter und die Sterne über meine Zukunft? Bleibe ich gesund?
Göttliche Mächte und das Schicksal
So unterschiedlich die Vorstellungen in den verschiedenen Kulturkreisen vom Alten Mesopotamien und Ägypten über die griechische und hellenistische Welt, die etruskische und römische Zivilisation bis hin zur christlichen Spätantike und dem islamischen Orient auch waren: Allen war gemeinsam, dass sie sich eingebunden sahen in eine kosmische Weltordnung, die durch das Wirken göttlicher Mächte bestimmt war. Es lag daher nahe, dass einzelne Menschen genauso wie Herrscher ihr Handeln am Willen der Götter ausrichteten. Die göttlichen Instanzen sollten durch bestimmte Rituale bewogen werden, die Zukunft zu enthüllen und Fragen zu beantworten; oder die Gottheit sprach unaufgefordert durch Zeichen oder Medien zu den Menschen.
Genauso weit verbreitet war aber auch die Überzeugung, dass es unabhängig von den Göttern ein Schicksal gibt, das die Geschicke jedes einzelnen Menschen und ganz Ägyptens von Anbeginn an vorherbestimmt. Da die Zukunft also schon feststand, war sie auch hier erfahrbar. Man musste die Hinweise und Omen über den künftigen Lauf der Dinge nur richtig deuten.
Talisman und Amulette
Von der Weissagung und Deutung des göttlichen Willens oder des mächtigen Schicksals hin zur Beeinflussung der Götter und des Geschicks in Form der Magie war es dann oft nur mehr ein kleiner Schritt, zumal beide Bereiche oft von denselben Personen ausgeübt wurden.
Eine Sonderform der magischen Praktiken stellen dabei die Amulette dar. Sie nehmen in der Ausstellung einen großen Raum ein, da sie überaus beliebt waren und in stattlichen Mengen überliefert sind. Schutzamulette sollten – oft bekräftigt durch Anrufung von Erzengeln, Zitaten aus Bibelversen oder Koransuren – insbesondere vor Schlangen und Skorpionen schützen. Talismane und kleine Beschwörungstexte, die Gott als handelnde Kraft anrufen, sind bis weit in die arabische Zeit hinein bezeugt. Damit sie ihre Kraft entfalten konnten, mussten sie immer mit sich getragen werden, weshalb ein in der Ausstellung zu sehendes Amulett aus dem 6. oder 7. Jahrhundert n. Chr. aus Pergament gefertigt wurde, das deutlich haltbarer war als die sonst üblichen Papyri.
Blick in die Sterne, Blick in die Zukunft
Eine wichtige Rolle beim Blick in die Zukunft spielte der Blick in die Sterne. Astrologie und Astronomie, heute verfeindete Sichtweisen, waren nicht zu allen Zeiten voneinander abgegrenzt; in Ägypten integrierte man die wachsenden Erkenntnisse über die Gestirne in das astrologische System. Die Beobachtungen der Himmelskörper und eventuell daraus ablesbarer Zeichen wurden genau niedergeschrieben und über Jahrhunderte weitergereicht.
Vor allem das wechselnde Aussehen des Mondes oder gar eine Mond- oder Sonnenfinsternis deutete man oft als Hinweis auf zukünftige Ereignisse, sei es ein großer Kampf, den das ägyptische Reich zu führen hat, sei es der Tod des Pharaos oder eine reiche Ernte – wenig verwunderlich in einer agrarischen Gesellschaft, die auf Gedeih und Verderb von den jährlichen Nilüberschwemmungen abhängig war. In der Ausstellung sind auch erstmals alle Teile der sogenannten Koptischen Bauernpraxis aus dem 9. oder 10. Jahrhundert n. Chr. zu sehen, einer Art antikem Bauernkalender mit einer Vielzahl von Regeln für das Leben im Allgemeinen und die Landwirtschaft im Speziellen, die sich alle an Natur- und Himmelserscheinungen orientieren.
Die Vorstellung, dass das Schicksal jedes einzelnen Menschen mit der Bewegung der Gestirne verbunden ist, führte aber auch zur Herstellung von Horoskopen für den Zeitpunkt der Geburt. Diese Horoskope berücksichtigten akribisch die Konstellationen der Fixsterne und Planeten am Firmament. In der Ausstellung sind bemerkenswerte Horoskop-Exemplare vom 1. Jahrhundert bis zum arabischen Hochmittelalter des 12. Jahrhunderts vertreten. Sie sind uns auch heute noch vertraut, da sie bereits mit dem Konzept des Tierkreises und seiner Einteilung in Sternzeichen arbeiten. Ein arabisches Horoskopdiagramm auf Pergament aus dem Jahr 1002 n. Chr. ist das früheste datierte arabische Horoskopdiagramm dieses Typs und erstmals in einer Ausstellung zu sehen.
Außergewöhnliche Losorakel
Lange vor dem klassichen Orakel von Delphi kannten auch schon die Ägypter die Methode, mit Hilfe eines Rituals oder eines Mediums von einer göttlichen Instanz eine transzendente Antwort oder Entscheidung zu erhalten. Für diese Orakel musste der Fragensteller zwei Papyri vorbereiten, auf denen zuerst immer der zuständige Gott angerufen wurde: Ein Papyrus enthielt die Frage mit der positiv formulierten Antwort, der andere die gleiche Frage mit der negativ formulierten Antwort. Die Orakelgottheit hatte dann die Aufgabe, den passenden Papyrus an den Fragensteller zurückzugeben.
Orakel wurden zu fast jedem Lebensbereich befragt, besonders häufig aber zu den Themen Ehe, Gesundheit, weibliche Fruchtbarkeit, Fruchtbarkeit der Felder und Ernteertrag.
Zwei außergewöhnliche Orakel sind in dieser Ausstellung zu sehen: ein Fragment der Sortes Astrampsychi, ein kompliziertes Orakelsystem aus dem römischen Ägypten, das der Legende nach sogar Alexander dem Großen zur Weltherrschaft verholfen hat, und die Orakelfrage des Asklepiades. Diese Frage des Asklepiades an den Gott Soknopaios, ob denn Tapetheus, die Frau seines Lebens, auch seine Ehefrau werden wird, stammt vom 26. April 6 n. Chr. und ist damit nicht nur eine der ältesten erhaltenen griechischen Orakelfragen, sondern auch eine der wenigen Orakelfragen, die so genau datiert wurde.
Höhepunkte ägyptischer Weissagekunst
Koptische Bauernpraxis
Dieser ägyptische Pergamentkodex aus dem 9. oder 10. Jahrhundert ist auch unter der Bezeichnung „Koptischer Bauernkalender“ bekannt und setzt sich aus verschiedenen Regeln zusammen, die angeben, wcie sich wichtige Ereignisse vorhersehen lassen und zu welcher Zeit man dies oder jenes tun bzw. lassen soll.
Der Kodex beginnt mit dem Donner- und Erdbebenbuch, in dem man u. a. erfährt, dass Früchte gut gedeihen, wenn es im April donnert, und dass es viel Regen geben wird, wenn im November die Erde bebt. Weitere Abschnitte sind u. a. ein Neujahrsbuch, das etwa der Frage nachgeht, wie ein Jahr verläuft, wenn der Neujahrstag auf einen bestimmten Wochentag fällt. Der umfangreichste Teil ist das Mondlaufbuch, das sich mit den Tagen 1 bis 30 des Mondes auseinandersetzt. Der dritte Tag ist beispielsweise ein schlechter. Wird nämlich an diesem Tag des Mondes Vieh geboren, wird es besessen sein.
Bei diesem Stück handelt es sich um eine Orakelfrage aus Soknopaiu Nesos, einer Siedlung in Ägypten. Sie ist (umgerechnet) mit dem 26. April des Jahres 6 n. Chr. datiert und damit nicht nur eine der ältesten erhaltenen griechischen Orakelfragen, sondern auch eine der wenigen Orakelfragen, die so genau datiert wurde.
Der Fragesteller Asklepiades hatte mit der Tapetheus die Frau seines Lebens bereits gefunden und wollte nun vom Gott Soknopaios wissen, ob sie auch seine Ehefrau wird. Er brachte seine Frage in griechischer Sprache auf zwei kleinen Papyruszettelchen vor, eine positiv und eine negativ formulierte Variante, und bat um eine göttliche Entscheidung. Die negativ formulierte Anfrage dieses Los- bzw. Ticketorakels ist erhalten geblieben: „An den größten, mächtigen Gott Soknopaios von Asklepiades, dem Sohn des Areios. Wenn es mir nicht vergönnt ist, dass ich Tapetheus, die Tochter des Marreios, heirate, und nicht, dass sie meine Frau wird, zeig es mir an und gib mir diesen Zettel.“
Dieses Amulett aus Pergament stammt aus dem 6. oder 7. Jahrhundert. Es bietet Schutz vor unbekannter Gefahr und muss mitgetragen werden, um seine Wirkung zu entfalten.
Es gibt Schutzamulette gegen Skorpionstiche, Hundebisse, Reptilien u. v. m. Wofür dieses Schutzamulett diente, ist nicht bekannt. Dem magischen Text, der durch den Uroboros (eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt) eingerahmt ist, sind einige Zauberworte wie „Sesengenes“ und „Barpharanges“ zu entnehmen. Außerdem wird um rasche Hilfe mit gesammelten Kräften gebeten.
Sator-Quadrat in Geheimschrift
Auf dem mit großen Buchstaben dicht beschriebenen Papyrusblatt aus dem 6. Jahrhundert ist sechsmal ein codiertes Sator-Quadrat verzeichnet, dem magische Eigenschaften zugeschrieben werden.
Diese besonders symmetrische Buchstabenfolge mit fünf Zeilen zu je fünf Buchstaben kann von jeder Ecke aus, sowohl horizontal als auch vertikal, gelesen werden und liefert inhaltlich stets dasselbe Ergebnis. Bei diesem Satzpalindrom handelt es sich also um ein vierfaches Palindrom oder ein sogenanntes „magisches“ Buchstabenquadrat. Um die magische Wirkung nochmals zu verstärken, wurde der Text mittels Zahlenkryptographie codiert. Der dechiffrierte Text lautet: sator – areto – tenet – otera – rotas und gehört zu den verbreitesten Zauberformeln des Abendlandes.
Sortes Astrampsychi
Bei den Sortes Astrampsychi handelt es sich um ein Orakelsystem aus dem römischen Ägypten, das vom 3. bis ins 6. Jahrhundert auf Papyrus belegt ist und zudem durch mittelalterliche Handschriften überliefert wurde. Die Legende besagt, dass der berühmte Mathematiker Pythagoras das Orakelwerk verfasst und Alexander dem Großen zur Weltherrschaft verholfen habe. Dieses komplexe und ausgeklügelte Orakel aus dem 5. Jahrhundert enthält 92 Fragen und 1.030 Antworten.
Um die Sortes zu befragen, ging man mit seiner Frage zu einem Spezialisten, wahrscheinlich in einen Tempel. Für die passende Antwort benötigte der Fragende zunächst eine persönliche Glückszahl (Zahl zwischen 1 und 10), die meist gewürfelt oder per Los gezogen wurde. Der Spezialist suchte dann aus einem vorgefertigten Katalog von 92 Fragen jene aus, die der Fragestellung am besten entsprach. Die Summe der Glückszahl und der Nummer der Frage ergibt wieder eine Zahl, die dann über eine Konkordanztabelle zur richtigen Antwortdekade führt. Eine Antwortdekade enthält zehn Antworten, die Glückszahl verweist auf die richtige Antwort. Bei richtiger Anwendung derSortes Astrampsychi wurde auch immer eine passende Antwort gefunden. Um die Dekaden uniform wirken zu lassen, wurden aber sogenannte Fake-Antworten eingeführt. Die Vorderseite des kleinen Wiener Fragments scheint die Enden dreier Antworten der 93. Dekade und die Rückseite die Reste von fünf Zeilen der 96. Antwortdekade zu enthalten.
Papyrus über Mondfinsternisse und Mond-Omen
Auf der in Fragmenten vorhandenen Papyrusrolle aus der Zeit zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert sind zwei ursprünglich getrennte Abhandlungen zusammengestellt, die sich mit allgemeinen Prognosen für die Zukunft befassen.
Eine der Schriften konzentriert sich ausschließlich auf Ägypten und beschäftigt sich mit dem Aussehen des Mondes und dem damit verbundenen Omen, sei es ein großer Kampf, Tod oder eine reiche Getreide-Ernte. Die zweite Schrift behandelt die Bedeutung von Sonnen- und Mondfinsternissen und bezieht sich sogar auf mehrere Länder. Mit ihren astronomischen Details steht sie eindeutig in babylonischer Tradition.
Die Anfänge von sieben Textzeilen dieses Papyrus entstammten vermutlich einem griechischen Geburtshoroskop aus dem Jahr 79 oder 80 n. Chr. Bemerkenswert sind die verwendeten Planetennamen, wie sie bei den Astronomen der hellenistischen Zeit in Alexandria gebräuchlich waren.
Die Planeten werden auf dieser Kostbarkeit nicht wie sonst in Horoskopen üblich bezeichnet, sondern es werden althergebrachte Namen verwendet, die die physischen Eigenschaften des Planeten benennen. In der 5. Zeile ist beispielsweise Pyroeis erwähnt, was „der Feurige“ bedeutet. Gemeint ist damit der Planet des Gottes Ares, nämlich Mars. Der erhaltene Text weist weitere Besonderheiten auf, weshalb nicht zu klären ist, ob es sich tatsächlich um ein Horoskop handelt. Auch die Reihenfolge der genannten Planeten folgt keinem der üblichen Schemata.
Arabisches Horoskop für 1002 n. Chr.
Dieses Fragment aus dem Jahr 1002 ist das früheste datierte arabische Horoskopdiagramm dieses Typs und erstmals in einer Ausstellung zu sehen.
Die astronomischen Angaben dieses Fragments erlauben eine genaue Datierung: Nacht des 11./12. September 1002 n. Chr. Ungewöhnlich ist die Verwendung von Pergament als Schreibmaterial, was darauf hindeutet, dass das Dokument zur längeren Aufbewahrung bestimmt war.
Dieses Fragment einer Buchrolle aus dem 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr. ist mit nur 17 cm Rollenhöhe um etwa die Hälfte niedriger als die damals üblichen Rollen. Eine Kolumne in zierlicher Schrift ist vollständig erhalten.
Das erhaltene Fragment entstammt einer edlen, ehemals wohl wertvollen Buchrolle. Der Papyrus ist auffallend fein und sorgfältig geglättet, die Schrift eine grazile Buchschrift mit kaum 2 mm großen Buchstaben. Bei diesem astrologischen Traktat wird jeweils eine spezifische Planetenkonstellation beschrieben samt ihren Auswirkungen auf die menschlichen Schicksale. Die erhaltene Kolumne beschreibt eine glückbringende Anordnung der Gestirne. Der Beginn der darauffolgenden Kolumne, von dem noch wenige Tintenspuren zeugen, beschreibt eine negative Konstellation.