Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek
Josefsplatz 1, 1010 Wien
7. Mai – 7. November 2010
Die Ausstellung versteht sich als ein Beitrag zur europäischen Wissensgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Präsentiert werden ausgewählte Handschriften und Drucke der vier großen, das europäische Mittelalter dominierenden Schriftkulturen, der griechisch-byzantinischen, der lateinischen, der arabischen und der jüdischen. Anhand der gezeigten Dokumente versucht die Ausstellung die Entwicklung der Wissenschaften beispielhaft nachzuzeichnen und dabei insbesondere den Dialog zwischen den verschiedenen Kulturkreisen in den Blickpunkt zu rücken.
Der Hauptteil der Präsentation konzentriert sich auf jene Wissensbereiche, die im besonderen Maße vom Austausch geprägt waren: Medizin, Astronomie und Astrologie.
Hintergrund
Interkultureller Dialog ist ein Prozess, der die Menschheitsgeschichte in großem Maße beinflusste und gerade heute, in unserer einerseits globalisierten andererseits von kulturellen Konflikten überschatteten Gegenwart an Bedeutung gewinnt. Völker und Kulturen haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder auf verschiedensten Ebenen einander angenähert und vom kulturellen Erbe und Wissen des jeweils anderen profitiert. Der grenzüberschreitende Wissenstransfer fungierte dabei als ideelle Brücke zwischen den Gesellschaften. Neben dem friedlichen Miteinander über Jahrhunderte hinweg, beherrschten aber auch Konflikte und Auseinandersetzungen die Vergangenheit und tun es bis heute. Spannungen und Kriege, wie etwa gegenwärtig im Irak, in Afghanistan oder Nigeria veranschaulichen auf drastische Weise den unterbrochenen (Wissens-)Austausch zwischen Kulturen und Ethnien. Indem wir uns bewusst machen, wie viel wir anderen Kulturen und Wissenstraditionen verdanken, wird uns das scheinbar Fremde vertrauter, können oft bewusst geschürte, schablonenhafte Feindbilder abgebaut werden. Die aktuelle Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek dokumentiert, dass die europäische Kultur bereits im Mittelalter vielfach geistige Impulse aus dem islamischen und jüdischen Kulturkreis aufgenommen hat – das Gleiche gilt selbstverständlich auch umgekehrt.
Die Botschaft, die die Schau ihren BesucherInnen mitgeben möchte lautet: Wissen entwickelt sich dort fruchtbar weiter, wo ein freier Austausch und eine auf Achtung und gegenseitigen Respekt basierende Begegnung unterschiedlicher Traditionen stattfinden kann. Ausgrenzung und xenophobe Isolierung hingegen bedeuteten immer geistige Stagnation und Rückentwicklung.
Kostbare Handschriften und alte Drucke als Zeugen kultureller Begegnungen
Im Zentrum der Ausstellung stehen jene Bereiche, die besonders vom interkulturellen Dialog profitiert haben: die Medizin, die Astronomie und die Astrologie. Die hauptsächlich mittelalterlichen Handschriften legen eindrucksvoll Zeugnis ab, wie grundlegende Erkenntnisse auf dem Gebiet der Naturwissenschaften transportiert wurden. Die Schau führt BesucherInnen zurück zu den Anfängen des wissenschaftlichen Austausches im 5. Jahrhundert und verfolgt die Entwicklung bis zum Beginn der Neuzeit.
Das Mittelalter war nicht nur von bedeutenden Verschiebungen der geografischen Grenzen geprägt, sondern vor allem auch durch die Ausprägung der hellenistisch-byzantinischen, der arabischen und der abendländischen Kultur. Die Schnitt- und Berührungspunkte für die gegenseitig bereichernden Begegnungen fanden primär im Nahen Ostens und im mediterranen Raum statt. Die Höfe der Kalifen und Fürsten sowie Schulen und sich institutionalisierende Universitäten fungierten als Schmelztiegel und Katalysatoren, in welchen die Texte übersetzt, die einzelnen Disziplinen diskutiert, die Auseinandersetzung mit fremden Schriften und Sprachen gepflegt und damit die Voraussetzungen für die Rezeption von neuen Inhalten geschaffen wurden.
Ausgangspunkt blieb während des gesamten Mittelalters das kulturelle Erbe der Antike, die Erkennt-nisse der Griechen und Römer. Das überlieferte Wissen wurde durch das byzantinische Reich, vor allem aber durch die frühe Übersetzungstätigkeit arabischer Gelehrter, vermittelt und prägte das gesamte Mittelalter. Am Beispiel der ausgestellten Objekte wird deutlich, wie nach der Übersetzung in die Sprache der jeweiligen Wissenskultur mit den Kommentaren und Auszügen aus Originalwerken der Rezeptionsprozess in die Wege geleitet wurde.
Highlights
Als eines der Highlights der Ausstellung wird für kurze Zeit der Wiener Dioskurides, der aus konservatorischen Gründen schon lange nicht mehr der Öffentlichkeit präsentiert wurde, im Original gezeigt. Dieses Objekt, das in die Liste des UNESCO-Weltdokumentenerbes aufgenommen wurde, stellt das älteste erhaltene wissenschaftliche Werk der Spätantike dar und zählt mit seinen prächtigen Bilderzyklen, die Darstellungen von Ärzten, Pflanzen und Tieren umfassen, zu einer der kostbarsten Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek. Weitere ausgesuchte Zimelien, wie etwa wertvolle künstlerisch aufwändig ausgestattete Herbarien, belegen die nachhaltige Wirkung des Dioskurides und dokumentieren die Entwicklungen in den verschiedensten Wissensgebieten. Highlights aus dem Bereich der Medizingeschichte stellen die Medizinischen Schriften des Hippokrates dar, welche auch die Grundlage für das abendländische medizinische Wissen des Mittelalters waren. Der ausgestellte Codex ist einer der ältesten Belege für die originalsprachige griechische Überlieferung.
Als Kostbarkeit erweist sich das von Albucasis verfasste Werk Chirurgia, das sich nicht, wie die meisten Handschriften, auf die Darstellung der chirurgischen Instrumente beschränkt, sondern durch die Abbildung von Behandlungsmethoden besticht und einen anschaulichen Einblick in den medizinischen Alltag gewährt. Weitere kunsthistorisch bedeutende Handschriften stammen aus dem zweiten großen Themenbereich, der Astronomie und Astrologie. Exemplarisch herauszustellen ist für diese Disziplin das berühmte Losbuch des 14. Jahrhunderts, das prachtvolle Miniaturen mit der Darstellung der berühmtesten Astrologen und Astronomen enthält.
Quelle (Presseinformation):
Veranstaltungswebsite ÖNB:
Im VÖBBLOG schon einmal angekündigt: