Zur aktuellen ÖNB-Ausstellung Hieroglyphen und Alphabete:
Auf der Vorderseite dieses sehr gut erhaltenen Papyrusblattes finden sich 13 Zeilen eines Lobpreises auf die Stadt Pi-Ramesse, dem Sitz der neu erwählten Hauptstadt unter Ramses II. Der Text ist in hieratischer Schrift abgefasst, also der altägyptischen Alltagsschrift, die parallel zu den Hieroglyphen in Verwendung war. Dass es sich bei dem Blatt um eine Schülerhandschrift handelt, kann man aus den zahlreichen Wortwiederholungen (Vorübungen?) und Korrekturen schließen.
Koptisches Syllabar
Ein Syllabar ist eine Liste von Silben, wobei verschiedene Konsonanten mit den Vokalen kombiniert werden. Dieses Übungsblatt in koptischer Schrift beginnt mit der Vokalreihe („a“, „kurzes e“, „langes e“, „i”, „kurzes o“, Ypsilon und „langes o“) und Xi, gefolgt von der Vokalreihe mit Pi, Rho, Sigma und Dschandscha. Danach beginnt die Übung in umgekehrter Reihenfolge. Abschließend werden Kombinationen mit drei Buchstaben (Konsonant + Vokalreihe + Konsonant; z. B. BAB, BEB, usw.) versucht. Wie die schwankende Größe der Buchstaben und das Verfehlen der Zeilengrundlinie zeigt, bereitete dem Schüler das Schreiben einige Schwierigkeiten.
Diktat der Erzählung vom Vatermörder
Diese in zahlreichen Papyri belegte Geschichte wurde während der Spätantike offenbar über mehrere Jahrhunderte hinweg als Diktat oder Abschreibübung zur Festigung der Rechtschreibung verwendet. Der Inhalt: Ein Sohn tötet den eigenen Vater und flieht aus Furcht vor den Gesetzen in die Wüste. Auf seiner Flucht wird er von einem Löwen verfolgt, weshalb er auf einen Baum klettern möchte. Dort befindet sich jedoch eine Schlange, sodass der Vatermörder nicht hinauf klettern kann und umkommt. Der Text wurde auf diesem Papyrusblatt oben und unten mit einer Zierleiste umrahmt. Auffällig ist der erste, übergroß angelegte Buchstabe, der als verzierte Initiale hervorgehoben ist. Der Schreiber hatte offenkundig Probleme mit dem Griechischen, denn der Text enthält zahlreiche orthographische Fehler.
Herakles und der Kaiser
Eine kalligraphisch geschulte, sehr sorgfältige und auf Ästhetik bedachte Schreiberhand, vermutlich die eines Lehrers, hat zwei Aufsatzthemen auf dem Papyrusblatt festgehalten. Das eine Thema lautet sinngemäß: „Vergleiche die Taten des Herakles mit den Leistungen unseres Kaisers“ und verlangt sowohl Kenntnis der Mythologie als auch der aktuellen historisch-politischen Ereignisse. Beim zweiten Thema fehlt am rechten Rand des Papyrusblattes ein Teil des Textes, weshalb ein vollständiges Verständnis des Satzes nicht möglich ist. Die Vermutung liegt aber nahe, dass in der Lücke lediglich die Worte ho kosmos („die Welt“) fehlen – und das Thema folglich lauten würde: „unsere Welt ist aus ähnlichen Welten geschaffen worden“; es handelt sich also vermutlich um eine philosophische, eventuell naturwissenschaftliche Frage an Schüler.
Übung von Zierbuchstaben: Europe und Pasiphae
In dekorativ verzierten Buchstaben sind hier die Namen zweier berühmter Frauengestalten der griechischen Mythologie niedergeschrieben: Dreimal wird der Name Europe wiederholt; die Tochter des phönizischen Königs Agenor wurde vom Göttervater Zeus in der Gestalt eines Stieres über das Meer nach Kreta entführt. Dieser Erdteil wurde dann nach der Königstochter Europa benannt. Als zweite wird Pasiphae genannt, die Mutter des Minotaurus. Der Papyrus illustriert die Rolle der Mythologie und die Vermittlung der Sagenstoffe im antiken Unterricht.
Griechischer Hymnus auf einer arabischen Steuerliste
Die Erstverwendung zeigt eine arabische Liste von Steuerzahlern: Offenbar stammte sie aus der Produktion einer Kanzlei und von der Hand eines erfahrenen Kanzleischreibers. Die Rückseite wurde später, von anderer Hand, zur Niederschrift eines griechischen Hymnus an Jerusalem wiederverwendet. Rück- und Vorderseite enthalten außerdem arabische Schreibübungen von offenkundig derselben Hand, die auch den Hymnus verfasste.
Übung des herakleopolitanischen Kanzleistils
Dieses Papyrusblatt, das zuvor eine Abrechnung über Artaben (Raummaß der Antike) von Weizen getragen hat, ist auf beiden Seiten für Übungen in einem besonders gestalteten Kanzleistil gebraucht worden, den man als den „herakleopolitanischen Schreibstil“ bezeichnet. Der versierte Schreiber hat diverse Namen und Titel in diesem Stil geübt, aber auch mehrfach das übergroße Phi und den Schriftzug Flavianus (Phlaouianos) ausprobiert.
Auf der Schauseite dieses Pergaments ist der ursprüngliche Text des Blattes zu sehen – der Schluss einer Festrede auf den Erzengel Michael –, auf der Rückseite trägt es eine Erzählung über das Martyrium des Hl. Ignatius. Beides wurde in Sahidisch geschrieben, einem Dialekt der koptischen Sprache. Unter der Zierleiste mit Punkten und Strichen beginnt die Schreibübung im faijumischen Dialekt. Der Text, den der Schüler schreibt, lautet: „Segnet mich. Ich bereue. Vergebt mir, meine heiligen Väter. Jeder, der lesen wird in den Schriften …“. An den unterschiedlich großen und verschieden geformten Buchstaben ist erkennbar, dass der Lernende die Schrift noch nicht gut beherrscht. Es hat ihm außerdem Mühe bereitet, die Zeilengrundlinie einzuhalten.
Multiplikationstabelle
Ursprünglich war dieses helle, kräftige Papier auf der Vorderseite mit einem arabischen Text beschrieben und wurde in Zweitverwendung für eine Übung von Multiplikationen herangezogen. Der Lernende hat jede neue Multiplikationsreihe in einer neuen Spalte begonnen und schreibt die Multiplikation, wie auch wir es in der Schule lernen, also z. B. 3 × 1= 3. Aus diversen Auslassungen kann man schließen, dass es sich um eine Mathematikübung und keine professionelle Multiplikationstabelle handelt.
Flächenberechung und Homertext
Die umfangreiche Rolle scheint nach ihrem Inhalt für den Schulgebrauch hergestellt worden zu sein. Auf der Vorderseite enthält sie einen Abschnitt der Ilias, das älteste schriftlich fixierte Werk Europas, und fünf mathematische Aufgaben, die auch durch Zeichnungen anschaulich gemacht werden. Es geht um die Flächenberechnungen von Kreisen, Halbkreisen oder ähnlichen geometrischen Figuren. Der Text der Problemstellung lautet beispielsweise: „Gegeben ist ein Kreis, dessen Perimeter 30 Schoinia beträgt. Wieviele Aruren hat er? Wie man vorgehen muss: Multipliziere die 30 Schoinia mit sich selbst, macht 900. Nimm davon ein Zwölftel, macht 75. Soviele Aruren hat der Kreis, wie hier unten angegeben ist“.
Schreibbrett mit Divisions- und Multiplikationstabellen
Die Holztafel enthält auf beiden Seiten mathematische Tabellen mit wiederholten Rechnungen, die daher vermutlich aus dem Schulbereich stammt und nicht als Nachschlagewerk für die Buchhaltung gedient hat. Seite A beginnt mit einer Halbierungstabelle, in der die Zahl 6.000 und danach die Zahlen von 1 bis 10.000 dividiert werden. Es folgt eine Verdopplungstabelle der Zahlen von 1 bis 10.000, schließlich eine Tabelle der Bruchzahlen der Zahl 6.000. Auf Seite B steht u. a. eine Halbierungstabelle mit Dividenden von 1 bis 100.
Pressefotos © Österreichische Nationalbibliothek
Quelle: http://www.onb.ac.at/services/pressefotos.php?foto=alphabet