Ein Wort an die öffentlichen Bibliotheken (aus: Die Constitution 1848)

Beim Aufräumen entdeckt: In der Tageszeitung „Die Constitution.Tagblatt für constitutionelles Volksleben und Belehrung“, welche im Revolutionsjahr 1848 in Wien vom 20. März bis zum 25.Okober 1848 erschien, erschien am 11.5.1848 (Nr. 43, S. 635f.) der folgende Artikel, der die UB Wien kritisiert, die Hofbibliothek (spätere ÖNB) durchaus lobt:

Transkription: 

Zu jenen Verordnungen, welche nur gegeben worden zu sein scheinen, damit sie da sind und das Publikum belästigen, gehört vorzüglich die, daß in der Universitäts-Bibliothek für jedes Buch, welches man zum Lesen erhält, ein mit dem Titel desselben versehener Zettel abgegeben werden muß, um eine jährliche Uebersicht liefern zu können, wie viele Bücher aus jeder Wissenschaft gelesen wurden. O Eitelkeit, o Dummheit! Liest man ein Buch durch einen ganzen Monat, so muß man täglich einen Zettel abgeben; erhält man drei oder vier Bücher eines Werkes, so werden auch ebenso viele Zettel verlangt; sucht man in einem zweibändigen Wörterbuche auch nur ein einziges Wort auf, für die wenigen Minuten zwei Zettel; kömmt man an ein und demselben Tage dreimal in die Bibliothek, und läßt sich jedesmal dasselbe Buch geben, stets auch ein Zettel, und so geht diese Albernheit fort. Was sollen denn die auf diese Art gesammelten Zettel nützen? Was frommt es denn zu wissen, daß in einem Jahre so und so viele Bücher aus diesem oder jenen Fache gelesen oder oft nur begehrt wurden? Wer außer höchstens einem zopfigen Regierungsbeamten kümmerst sich denn um dieses Verzeichniß? Viel klüger als diese einem Kohlkopfe entsprungene Idee wäre es, sich die Bücher anzuschaffen. Besser wäre es darauf zu dringen, daß die Pflichtexemplare abgeliefert werden, nicht daß eine Masse derselben fehlt, die der Bibliothek bei der Censur unter Sedlnitzky gestohlen wurde.

In der k.k. Hofbibliothek sind seit einiger Zeit manche sehr nützliche Veränderungen eingetreten, dennoch bleibt noch Manches zu wünschen übrig, dessen Erfüllung man unter der gegenwärtigen Oberleitung mit Zuversicht erwarten kann. Soi dürfte eine weit größere Sorge getragen werden, daß neu erschienene Bücher halb und nicht erst in einem Jahre und noch später gebunden und daher erst dann können gelesen werden. Sehr zu wünschen ist ferner, daß man die in Heften erscheinenden wissenschaftlichen Zeitschriften alsbald nach ihrer Ausgabe erhalten könne, denn was nützen solche Blätter, wenn sie erst nach Jahren zugänglich werden; [S. 636] wenigsten sollte man bei bekannten Namen eine Ausnahme der bisherigen Regel machen. Einige andere schon mehrfach gerügte Mängel übergehend, möchte ich nur noch dringendst empfehlen, daß alle öffentlichen Bibliotheken im Sommer bis 6 Uhr Abends und im Winter bis es dunkel wird, offen bleiben, indem sehr vielen Personen der vormittägige Besuch unmöglich ist. Wenn Nachmittags abwechselnd ein oder zwei Beamte gegenwärtig sind, genügt es, und so würde ihnen der Dienst keineswegs sehr belästigend.

Kr.

Quelle: Kr., Ein Wort an die öffentlichen Bibliotheken, in: Die Constitution. Tagblatt für constitutionelles Volksleben und Belehrung, Nr. 43, 11.5.1848, S. 635f.

 

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