Seit 2010 wird an der WU-Universitätsbibliothek, initiiert durch den Bibliotheksdirektor Nikolaus Berger, ein NS-Provenienzforschungsprojekt durchgeführt. 51.000 Bände vom Untersuchungszeitraum 1933 – 1946 der ehemaligen Hauptbibliothek wurden durchgesehen. Die bisherigen Überprüfungen führten zu einer Liste von 1.121 potentiell bedenklichen Erwerbungen, die 74 Personen und 118 Institutionen zuzuordnen sind. Bisher konnten in zwei Fällen Bücher an Nachkommen/Nachfolge-Institutionen zurückzugegeben werden. An die Erbinnen und Erben von Dr. Leopold Singer wurden jüngst Bücher retourniert.
Leopold Singer (geb. 1869 in Wien – gest. 1942 in London), Studium der Technischen Chemie an der TU-Wien, 1892 Promotion an der Universität Zürich, war aufgrund seiner jüdischen Herkunft gezwungen, Wien 1939 zu verlassen. 696 Bücher aus dem Bestand der WU-Bibliothek konnten eindeutig der Provenienz Dr. Leopold Singer zugeordnet werden. Thematisch liegt der Sammelschwerpunkt auf dem Gebiet der Petrochemie. Nicht eindeutig nachweisbar ist, wie die Werke von Leopold Singer an die WU-Bibliothek kamen. Es besteht der begründete Verdacht, dass diese im März 1942 im Dorotheum erstanden, in einer Lieferung von 87 Kisten an die WU-Bibliothek kamen und in den Bestand der Bibliothek aufgenommen wurden. Eines fand sich im Bestand der Parlamentsbibliothek. Durch Klärung des Nationalfonds wurden Erb/inn/en von Dr. Leopold Singer identifiziert und kontaktiert. Am 1. Oktober fand die feierliche Übergabe an Amir Singer (Tel Aviv) als Vertreter der Erbengemeinschaft durch den Vizerektor für Forschung, Stefan Pichler den Leiter der WU-Bibliothek, Nikolaus Berger gemeinsam mit der Leiterin der Parlamentsbibliothek und weiteren Vertreter/inne/n des Parlaments statt. Die Parlamentsbibliothek ist nach dem Kunstrückgabegesetz verpflichtet, die Rückgabe vorzunehmen. Die WU unterliegt diesem Gesetz nicht, agiert aber nach ihren Werten und sieht sich verpflichtet, Bücher an Erbinnen und Erben und Nachfolgeinstitutionen zurück zu geben.
Weitere Daten durch Forschungsprojekt
Die weiteren durch das Forschungsprojekt gewonnenen Daten werden kontinuierlich ausgewertet und Dossiers erstellt, um die Erbensuche und die Vorbereitung von Restitutionen voranzutreiben. Dabei arbeitet die WU eng mit dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) und der Arbeitsgruppe NS-Provenienzforschung der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB) zusammen. Wie viele Restitutionsfälle im Bereich des Bibliotheksbestandes noch anfallen werden, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersagen. Der Leiter der WU-Bibliothek, Nikolaus Berger dazu: „Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Fällen, die schon ausrecherchiert sind, auf der anderen Seite steht die Klärung der Provenienzen noch an. In den meisten Fällen wurden bereits alle zugänglichen Quellen konsultiert, weshalb eine Klärung nur mehr über neue Erkenntnisse externer Stellen oder Personen erfolgen kann.“ Es ist geplant, bis Ende 2015 weitere 15.000 Bände aus dem Untersuchungszeitraum 1946 – 1950 zu überprüfen.
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