WienMuseum: Die erkämpfte Republik

Eine wirklich schöne Fotografie-Ausstellung zur Entstehung der Republik Österreich (damals noch bis zum Staatsvertrag von St. Germain Deutschösterreich bezeichnet) findet momentan im Wienmuseum statt:

Die erkämpfte Republik. 1918/19 in Fotografien

Sie wurde von Anton Holzer, dem bekannten Fotografiehistoriker, kuratiert und erschließt (vor)bildlich die Vorgänge der Entstehung des neuen Staates (Deutsch-)Österreich. Ich habe im VÖBBLOG schon mal kurz darauf hingewiesen, sie nunmehr auch selbst angesehen. Zur Ausstellung ist ein reich bebildeter Begleitband erschienen.

In beiden – Ausstellung wie Begleitband –  findet sich allerdings ein kleiner Fehler bzw. wohl eine versehentliche Fehldatierung. Im Teil „Revolution auf Raten“ ist ein bekanntes, geradezu ikonisch gewordenes Bild des Moritz Ledeli, welches die Menschenansammlung vor dem Niederösterreichischen Landhaus in der Herrengasse zeigt, abgebildet:

Es ist in der Ausstellung (falsch) beschrieben mit: Demonstrationen in der Herrengasse, 21. Oktober 1918″Nun findet sich auf dem Bild Moritz Ledelis kein Datum. In der linken unteren Ecke ist allerdings folgende Selbstbeschreibung zu erkennen: „Demonstration vor dem Ständehause in der Herrengasse anlässlich der Gründung Deutschösterreichs“.

Der 21. Oktober ist zwar der Tag des erstmaligen Zusammentretens der „Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich“ im Landhaus, von einer Staatsgründung war man noch etwas entfernt. Dennoch versammelten sich auch an diesem Tage Menschenansammlungen vor dem Landhaus, wie man Zeitungsberichten entnehmen kann. Die tatsächliche Staatsgründung sollte aber erst ebendort am 30. Oktober 1918 mit dem Staatsgründungsbeschluss erfolgen. Dazu existiert übrigens ein zweites bekanntes Gemälde, welches von Max Frey 1948 im Auftrag von Karl Renner, der immerhin 1918 Staatskanzler wurde und das Geschehen persönlich erlebt hat, gemalt wurde:

Es zeigt die Szene des Ledeli-Bildes, allerdings von der anderen Seite aus. Betitelt ist das Gemälde (Heeresgeschichtliches Museum) übrigens mit: „Die Ausrufung der Republik am 30. Oktober“. Also: 30. und nicht der 21. Oktober! Der Hinweis auf die Republik ist wohl auch zutreffend. Juristisch versierte Beobachter und Zeitgenossen haben dies auch so gesehen. Der Staatsgründungsbeschluß vom 30. Oktober 1918 (StGBl. 1/1918 [! – ich betone: Nr. 1]) kennt keinen Monarchen, die „Regierungs- und Vollzugsgewalt“ obliegt dem Staatsrat. Diese provisorische Verfassung war somit eine republikanische, wie es auch Hans Kelsen, der große Staatsrechtler, der Karl Renner als verfassungsrechtlicher Konsulent zuarbeitete und entscheidend an der späteren Verfassung mitarbeiten sollte, beschrieben hat. Die heutigen rechtshistorischen und staatsrechtlichen Lehrbücher charakterisieren dies ebenso. Zudem ist für diesen Tag überliefert, dass Abgeordnete während der Sitzung auf den Balkon traten, um zur Menge zu sprechen.

In der gerade zu Ende gegangenen Ausstellung zu 1848 im alten Landhaus konnte man übrigens eine Version/Vorstudie davon sehen: „Die Ausrufung der Republik vom Balkon des niederösterreichischen Landhauses“ (Landessammlungen Niederösterreich).

 

In der aktuellen Wien Museum Ausstellung wie im Katalogband findet sich parallel zum Bild von Ledeli noch das Titelblatt des illustrierten Wochenmagazins „Das interessante Blatt“ vom 7. November 1918, welches ein Foto der Menschenansammlung vor dem Landhaus prominent abbildet.

 

 

Untertitelt ist es mit: „Während die deutsch-österreichische Nationalversammlung am 30. Oktober nachmittags das provisorische Grundgesetzes des neuen Staates beschließt, halten Abgeordnete vom Balkon des Landhauses an die in der Herrengasse angesammelte Volksmenge Ansprachen, die die Bedeutung dieser historischen Stunde würdigen und brausenden Jubel erwecken.“

Im Ausstellungsband (S. 63) wie auch in der Ausstellung selbst kann man hier – leider wieder falsch – von einer Kundgebung am 21. [sic!] Oktober 1918 lesen. Man hätte also schon beim Entziffern der darunter abgedruckten Fotobeschreibung klar ersehen können, dass es sich beim Hinweis auf den 21. Oktober nur um ein Versehen handeln kann. So sind leider beide Abbildungen falsch datiert.

Ein weiteres Detail hätte stutzig machen können: Die Sitzung am 21. Oktober begann laut den Stenographischen Protokollen der Provisorischen Nationalversammlung um 17:05 und endete um 18:02. Die Sitzung am 31. Oktober dagegen schon um 15:05 und endete um 20:05. Das Foto im Interessanten Blatt kann allein schon wegen der Lichtverhältnisse unmöglich am 21. Oktober gemacht worden sein! Der Sonnenuntergang fand nämlich am 21. Oktober um 16:56, also vor Beginn der Sitzung, statt. Am 30. Oktober war jedoch genügend Zeit. Sonnenuntergang war um 16:40, die Sitzung lief schon über eineinhalb Stunden.

Halten wir fest: Dargestellt ist jedenfalls auf beiden Bildern der 30. Oktober 1918, der Tag der Staatsgründung! Juristisch betrachtet war es auch der Tag der Republiksgründung. Am 12. November erfolgte zwar eine offizielle „Ausrufung der Republik“ (mit dem Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, StGBl. 5/1918), doch diese konnte damit nur mehr bloß deklarativer und nicht konstitutiver Natur sein.

Trotzdem: eine ganz großartige Ausstellung, die unbedingt besucht gehört!

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