In einem Kooperationsprojekt arbeiteten die Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte und das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien das sogenannte „Gaupresse“-Archiv Wien auf. Das Ergebnis dieser Arbeit ist nun online zugänglich. Somit steht erstmals ein wesentliches NS-Presse-Archiv der Forschung digital zur Verfügung.
Das „Archiv des Gaupresse-Amtes der NSDAP-Gauleitung Wien“ (kurz: Gaupresse-Archiv Wien) ist im Wesentlichen eine Zeitungsausschnittsammlung der NSDAP-Gauleitung Wien. Gemäß der Rolle der Presse im NS-System als Propagandainstrument erfolgte die Sammlungspolitik der Archive der „Gaupresse“-Ämter unter dieser Zielrichtung, d. h. primäres Kriterium war die propagandistische Verwertbarkeit.
Tageschronik und biographisches Material zu NS-Politikern – der Inhalt des Archivs
Neben einer Tageschronik der Presseberichte über den Zweiten Weltkrieg wurden Themen der NS-Provinzpresse in der „Ostmark“ bzw. den „Donau- und Alpengauen“ 1938 bis 1945 dokumentiert. Biographisches Material zu NS-Politikern wurde ebenso gesammelt wie zur Wehrmacht und NSDAP. Dazu kommen länderkundliche Sammlungen, aber auch wirtschaftspolitische und kulturelle Themenstellungen – bis hin zur „Judenverfolgung“ oder der Presseresonanz auf Reichsleiter Baldur von Schirach.
Aus analog wird digital – ganz neue Möglichkeiten für künftige Forschungsprojekte
Das Archiv war bisher in über 600 Kartons als Sondersammlung der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte der Universität Wien gelagert. Neben der öffentlichen Resonanz über nationalsozialistische Medienpolitik und NS-Druckwerke gibt es ein steigendes breites öffentliches Interesse an einer direkten Auseinandersetzung mit den NS-Presseprodukten. „Gleichzeitig fehlte für die wissenschaftliche Forschung die digitale Erschließung des für Österreich originären Presseausschnittarchivs, dem ‚Gaupresse‘-Archiv Wien, sodass die bisherige Auseinandersetzung mit der NS-Presse auf punktuelle Themen beschränkt blieb“, so Oliver Rathkolb, der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, der gemeinsam mit Markus Stumpf, dem Leiter der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte, das mehrjährige Projekt leitete. Hinzu kommt, dass in dem Presse-Archiv nicht nur Zeitungsausschnitte, sondern, wie Markus Stumpf erläutert, „auch Archivmaterialien enthalten sind, so etwa Reden der Wiener Gauleiter Josef Bürckel und Baldur von Schirach und anderer Nationalsozialisten. Insgesamt liegen nun 673 Kartoninhalte, das sind über 200.000 Scans in über 16.000 Mappen digitalisiert vor“.
Ein Beitrag zum Gedenkjahr 2018 – Einrichtung einer Forschungs- und Lehrplattform
„Durch die digitale Aufarbeitung des ‚Gaupresse‘-Archivs wird eine wissenschaftliche, zeithistorische Aufarbeitung des NS-Unrechtsregimes ermöglicht und erleichtert“, so Stumpf. Rathkolb erläuternd dazu: „In dem ‚Gaupresse‘-Archiv ist unzweifelhaft eine ideologisierte propagandistische Jubelberichterstattung über Führer, Partei, NS-Ideologie usw. enthalten, der nun eine kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung und Kontextualisierung durch begleitende wissenschaftliche Texte, Präsentationsunterlagen, ausgezeichneten Seminararbeiten usw. entgegengesetzt werden“.
Bei der Forschungsplattform „Gaupresse“-Archiv handelt es sich um eine wissenschaftliche Lehrplattform, die zum Zwecke der wissenschaftlichen Recherche online gestellt wird. Der Zugriff auf diese Lehrplattform steht zwar grundsätzlich jedermann offen, jedoch ist das Abfragen und die Verwendung der Archivinhalte ausschließlich und nur für Zwecke des Unterrichts, der Lehre und der Forschung zulässig und daher registrierungs- und anmeldepflichtig. „Die Forschungsplattform ist damit ein auch international besonders nachhaltiger Beitrag der Universität Wien zum Gedenkjahr 2018/1938“, so Oliver Rathkolb.
Die Geschichte des Gauarchivs – Ein Stück Republiksgeschichte
Die Aufbewahrungsgeschichte des Archivs ist dabei auch ein Teil der österreichischen Republiksgeschichte, befand sich doch das „Gauarchiv“ im sogenannten „Gauhaus“, also dem Österreichischen Parlament. Markus Stumpf dazu: „Aus Platzgründen wurden die Bestände Mitte der 1970er Jahre über das Parlamentsarchiv und die Parlamentsbibliothek hinaus aufgeteilt. Sie sind heute im Österreichischen Staatsarchiv, im Wiener Stadt- und Landesarchiv, in der Österreichischen Nationalbibliothek, aber auch in der Wienbibliothek im Rathaus sowie an der Universität Wien in der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte zu finden“.
Eckdaten zum Projekt:
Forschungsplattform „Gaupresse“-Archiv Wien. Ein Projekt des Instituts für Zeitgeschichte und der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte der Universität Wien
Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Dr. Oliver Rathkolb und Mag. Markus Stumpf, MSc
Gefördert durch: Zukunftsfonds der Republik Österreich, Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte, Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien
Projektpartner: Verein zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Zeitgeschichte, Universitätsbibliothek Wien
Technische Umsetzung: Acolono GmbH