Stimmen aus dem Wüstensand. Briefkultur im griechisch-römischen Ägypten (Ausstellung ÖNB)

Privatbriefe auf Papyrus stellen im Rahmen der antiken Überlieferung aufgrund ihres unmittelbaren und persönlichen Charakters eine besonders faszinierende Textgattung dar. Anders als in der gepflegten Kunstsprache der Literatur, wo offene Briefe zwischen gebildeten Persönlichkeiten ein spezielles Genre bilden, sprechen hier die einfachen Menschen des Altertums so zu uns, wie sie miteinander geredet haben. Frauen, Kinder und sozial schwache Gruppen – die in der antiken Literatur nie zu Wort kommen – erhalten plötzlich eine vernehmbare Stimme. Die Gedanken und Sorgen, die in den Privatbriefen zum Ausdruck kommen, sind nicht nur Quellen ersten Ranges für die Mentalitäts- und Alltagsgeschichte, sie berühren die LeserInnen auch heute noch unvermittelt. Zu solchen Privatbriefen tritt als zweite Gruppe die offizielle Korrespondenz. Im Schriftverkehr zwischen Amtsträgern, aber auch in Verlautbarungen der Regierung und Verwaltung an die Bevölkerung manifestieren sich Herrschaftsstil und hierarchische Strukturen. Die juristisch-administrative Amtssprache lässt manch auffällige Parallele zur modernen „Beamtensprache“ erkennen.

Die Ausstellung präsentiert außergewöhnliche, amüsante, aber auch berührende Beispiele sowohl der Privatbriefe als auch der offiziellen Korrespondenz. Durch Inhalt oder Form sind spezielle Gruppen hervorzuheben, etwa Empfehlungs- und Kondolenzschreiben oder Geschäftsbriefe. Die zumeist unmittelbar verständliche Situation der Briefe und etliche Nachrichten allgemein-menschlichen bzw. allzu menschlichen Inhalts geben vielfältige Einblicke in das Alltagsleben. Neben griechischen und lateinischen Briefen zeigen koptische und arabische Schreiben die multilinguale Kultur des antiken Ägypten und demonstrieren die Entwicklung der Kommunikation über einen Zeitraum vom 3. Jh. v. Chr. bis zum 9. Jh. n. Chr. Ziel der Ausstellung ist es, über die Vermittlung antiker Briefkultur hinaus Besonderheiten und Gemeinsamkeiten zwischen den Lebenswelten im griechisch-römischen Ägypten und heute herauszuarbeiten.

Ort: Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, Heldenplatz, Neue Burg, 1010 Wien

Dauer: 10. Juni 2010 – 15. Jänner 2011

Website zur Ausstellung:

Der komplette Text der Presseaussendung:

Wenn es um Geschichte im engeren Sinne geht, stehen zumeist Persönlichkeiten und Ereignisse im Mittelpunkt, die in der jeweiligen Öffentlichkeit großes Aufsehen erregten oder sichtbare und für einen Großteil der Menschen spürbare Veränderungen brachten. Selten werden Menschen und Ereignisse beachtet, die dem normalen Alltag zuzuordnen sind. Und doch zeigen gerade diese alltäglichen Lebenssituationen einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Menschheitsgeschichte auf.

Die aktuelle Ausstellung im Papyrusmuseum Stimmen aus dem Wüstensand. Briefkultur im griechisch-römischen Ägypten rückt den „gewöhnlichen“ Menschen mit seinem nur vordergründig bedeutungslosen Leben in den Mittelpunkt und lässt ihn damit Teil der Geschichte werden.

Privatbriefe und offizielle Korrespondenz

Die gezeigten Privatbriefe auf Papyrus stellen in der antiken Überlieferung aufgrund ihres unmittelbaren und persönlichen Charakters eine besonders faszinierende Textgattung dar. Anders als in der gepflegten Kunstsprache der Literatur, wo offene Briefe zwischen gebildeten Persönlichkeiten ein spezielles Genre darstellen, sprechen hier die einfachen Menschen des Altertums so zu uns, wie sie miteinander geredet haben. Frauen, Kinder und sozial schwache Gruppen — die in der antiken Literatur nie zu Wort kommen — erhalten plötzlich eine vernehmbare Stimme. Die Gedanken und Sorgen, die in den Privatbriefen zum Ausdruck kommen, sind nicht nur Quellen ersten Ranges für die Mentalitäts- und Alltagsgeschichte, sie berühren ihre LeserInnen auch heute noch. Zu solchen Privatbriefen tritt als zweite Gruppe die offizielle Korrespondenz. Im Schriftverkehr zwischen Amtsträgern, aber auch in Verlautbarungen der Regierung und Verwaltungsbehörden an die Bevölkerung manifestieren sich Herrschafts­stil und hierarchische Strukturen. Die juristisch-administrative Ausdrucksweise lässt manch auffällige Parallele zum heutigen „Amtsdeutsch“ erkennen.

Die Ausstellung präsentiert außergewöhnliche, amüsante, aber auch berührende Beispiele von Privatbriefen und offizieller Korrespondenz, darunter spezielle Gruppen, etwa Empfehlungs- und Kondolenzschreiben oder Geschäftsbriefe. Die zumeist unmittelbar verständliche Situation der Schreiben und etliche Nachrichten allgemein-menschlichen bzw. allzu menschlichen Inhalts geben vielfältige Einblicke in das Alltagsleben. Neben griechischen und lateinischen Briefen zeigen koptische und arabische Schriftstücke die multilinguale Kultur des antiken Ägypten und demonstrieren die Entwicklung der Kommunikation über einen Zeitraum vom 3. Jh. v. Chr. bis zum 9. Jh. n. Chr. Ziel der Ausstellung ist es, über die Vermittlung antiker Briefkultur hinaus, Besonderheiten und Gemeinsamkeiten zwischen den Lebenswelten im griechisch-römisch-früharabischen Ägypten und heute herauszuarbeiten.

Highlights der Ausstellung

  • Vorwurfsvoller Brief einer Ehefrau an ihren Gatten

Der arabische Brief aus dem 12. Jh. auf Papier ist in seiner Form einzigartig unter den bislang bekannten arabischen Briefen. Die schwangere Safrā macht ihrem Gatten Khidr brieflich Vorwürfe, weil er sie verlassen hat. Sie schreibt, dass sie seit der Heirat vor drei Jahren seine Fraueneskapaden stillschweigend geduldet habe, wie auch seine in Gasthäusern verbrachten Nächte. Nun habe er sie aber für eine schönere Frau verlassen, und es war ein herber Schlag für sie zu erfahren, dass er mit dieser immerhin schon seit zwei Jahren Umgang pflegte. Richtig beleidigend ist jedoch, dass Khidr das gemeinsame Mobiliar aus dem Haus der Briefschreiberin herausschaffen und zu seiner neuen Wohnung in Oberägypten bringen hat lassen. Auch soll er sie nun sogar in aller Öffentlichkeit verhöhnen. Darüber ist Safrā derart erbost, dass sie ihn am liebsten verfluchen möchte, würde sich das nur für eine ehrbare Muslimin geziemen. Einzig ihre Schwiegermutter tut ihr nun aufrichtig leid, denn diese hat sie immer gemocht. Entsprechend schickt sie ihre besten Grüße an die Schwiegermutter.

  • Mitteilung über üble Nachrede

Das in vielerlei Hinsicht einzigartige Fragment einer Papyrusrolle besteht aus vier Briefen in lateinischer Sprache, die in der Antike für die Beschriftung der Rückseite zusammengeklebt wurden. Es überliefert die ältesten im Original erhaltenen lateinischen Briefe und zeigt Eigenheiten des Alltagslateins um die Zeitenwende. Der dritte Brief (geschrieben zwischen dem 5. und 2. Jh. v. Chr.) ist vollständig erhalten und in geübter Handschrift verfasst. Er stammt aus dem Soldatenmilieu: Diaconus warnt seinen Kameraden Macedo, dass dieser von anderen „kräftig angeschwärzt“ wurde und manch einer den „vielen üblen Dingen“, die über Macedo im Umlauf seien, auch noch Glauben schenkt und diese weiter trage.

  1. Brief einer Tochter an ihren Vater

Der griechische Brief aus dem 4./5. Jh. n. Chr. stammt von einer Frau namens Therpe, die sich an ihren Vater wendet mit der Bitte, ihr diverse Gegenstände für das Neujahrsfest zu finanzieren. Um das Fest standesgemäß feiern zu können, bittet sie ihn um Schmuck (ihrer ist zerbrochen), Backwaren und Gewürzwein. Außerdem wird Leinen erwähnt, das sie für ein neues Kleid benötigt. Letztlich beklagt sie sich, dass ihr Vater ihr noch kein Geld für das Fest zukommen ließ und erinnert ihn nochmals daran, ihr auch verlässlich die Schmuckstücke zu schicken.

  • Widerrechtlicher Anbau einer Dattelpalme

Das Ostrakon (Tonscherbe) stammt aus dem 7./8. Jh. n. Chr. und trägt einen koptischen Text. Eine Frau schreibt an einen kirchlichen Würdenträger, weil ein gewisser Anup widerrechtlich auf ihrem Grundstück eine Dattelpalme gepflanzt hat. Sie habe erfahren, dass Anup in dieser Sache bereits beim kirchlichen Würdenträger vorgesprochen hat und versichert auch, dass sie sich an dessen Urteil halten werde, möchte aber betonen, dass sie sich aus ihrer Sicht im Recht befinde und auch das Dorf hinter sich habe.

  • Adresse

In der Spätantike wurde die auf der Rückseite von Privatbriefen angebrachte Adresse häufig in einer äußerst auffälligen, stilisierten Schrift geschrieben. Der Papyrus aus dem 6. oder 7. Jh. ist ein besonders schönes Beispiel für eine solche, mit zahlreichen grafischen Elementen und Verzierungen ausgestattete Kunstschrift, die sich an der römischen Kanzlei- und Behördenschrift orientierte und wohl den vornehmen Rang der Korrespondenten kennzeichnen sollte, die Entzifferung jedoch beträchtlich erschwert. Die Adresse lautet:

„An meinen Herrn, den allseits erlauchten und jeder Ehre und Huldigung würdigen, den aufrichtigen Bruder“.

  • Brief eines Steuereintreibers

Der koptische Brief des Steuereintreibers Schenute aus dem 7. Jh. n. Chr. richtet sich an kirchliche Amtsträger und enthält eine Vorschreibung von Abgaben. Insgesamt werden über 7000 Sack Datteln (umgerechnet rund 200 Tonnen (!) oder die Ernte von 12.500 Dattelpalmen) gefordert. Hintergrund dieser Forderung ist, dass die arabischen Eroberer gewaltige Mengen an Nahrungsmittel und Material benötigten, um ihren Verwaltungssitz zu errichten.

Quelle:

http://www.onb.ac.at/services/pressefotos.php?foto=wuestensand

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