Ein zentraler Abschnitt in der Geschichte der kaiserlichen Hofbibliothek Österreichs wird nun erstmals detailliert beleuchtet. Im Rahmen eines Projekts des Wissenschaftsfonds FWF werden Handschriften des Hofbibliothekars Peter Lambeck (1663–1680) analysiert. Er gilt als einer der bedeutendsten, ambitioniertesten und bestvernetzten Protagonisten der österreichischen Bibliotheksgeschichte. Als passionierter Briefschreiber nützte er seine Anbindung an das wissenschaftliche Netzwerk Europas, die Gelehrtenrepublik. Gleichzeitig führte er über den Alltag in der Bibliothek und deren Labor, über Abläufe hinter den Kulissen bis hin zu Gesprächen mit dem Kaiser genaue Aufzeichnungen. Durch deren Analyse wird die Wiener Hofbibliothek nun erstmals in der „intellektuellen Geografie“ Europas sichtbar.
Vernetztes Arbeiten und zeitnaher Wissensaustausch werden gerne mit der Entwicklung des Internets assoziiert. Tatsächlich gab es intensiven intellektuellen Austausch und die gemeinsame Arbeit an Projekten über große Distanzen hinweg schon zu den Zeiten der Habsburger. Ein Studienobjekt dafür sind die Handschriften des Hofbibliothekars Peter Lambeck, der ein Experte im „Content-Management“ und im „Social Networking“ war. Anhand seines Lebens und Wirkens wird nun eindrucksvoll nachgezeichnet, dass auch Österreich bereits im 17. Jahrhundert ein Teil der sogenannten Gelehrtenrepublik war – des geballten Wissens der europäischen intellektuellen Elite.
Schillernde Landkarte
Im Rahmen eines vom FWF finanzierten Projekts kommt der Darstellung der Rolle Wiens im europäischen Wissenschaftsdiskurs des 17. Jahrhunderts eine wichtige Bedeutung zu. Dazu die Projektleiterin Dr. Vittoria Feola von Department und Sammlungen für Geschichte der Medizin an der Medizinischen Universität Wien: „Die Intellektuelle Geografie als neue Disziplin befasst sich mit der Untersuchung des intellektuellen Austauschs zwischen den Gelehrten Europas und der Identifizierung der Wissenszentren. Wien ist bisher auf dieser Landkarte des Gelehrten-Kommunikationsraumes des 17 Jahrhunderts nicht verzeichnet. Unsere Analyse rückt dieses Bild nun zurecht und zeigt die Wiener Hofbibliothek als Hotspot intellektueller Produktion unter Peter Lambeck.“
Lambecks Handschriften lassen, so zeigt Dr. Feola im Rahmen ihres Projekts auf, wichtige Schlüsse zu, auf welche Weise Peter Lambeck der kaiserlichen Hofbibliothek zu internationalem Ansehen verhalf, nämlich zum Beispiel mittels seiner exzellenten „Content-Management-Skills“: Katalogisierung, so wusste Lambeck seit seinem Besuch der Bibliothek des Vatikans, war der Schlüssel zum Erfolg. Denn der Besitz der Werke und Materialien nützte nichts, wenn die Bestände nicht den Gelehrten in übersichtlicher Form auch zur Entlehnung bereitstünden, sondern in den Regalen verstaubten. Die Bibliothek sollte sichtbar werden als wertvolle Ressource und als Drehscheibe wissenschaftlichen Austauschs. Frische Bibliotheksmanagementideen und State of the Art-Equipment für das hauseigene Labor waren allerdings nicht das Einzige, das der ambitionierte Bibliothekar von seinen umfangreichen Reisen durch ganz Europa mitbrachte. Er pflegte seine guten Kontakte zu internationalen medizinischen Gelehrten und Bibliothekaren: so zum Beispiel zum Kreis um Gabriel Naudé in Paris oder zu Dr. Edward Browne, Mitglied der Royal Society London. Seine Aufzeichnungen über Besuche und Einladungen sowie seine schriftliche Korrespondenz stellen für Dr. Feola die Basis ihrer Untersuchungen dar.
Lambecks Beziehungschemie
Anhand dieser konnte sie bereits zeigen, dass Lambeck nicht nur international, sondern auch lokal mit Vordenkern der medizinischen Fakultät Wiens wie zum Beispiel Johann Zwelfer und Ferdinand Illmer bestens vernetzt war. Die Belege dieser Verbindungen erlauben es nun erstmalig, die Vorgänge im Labor der Hofbibliothek genauer unter die Lupe nehmen, wie die Lise-Meitner-Stipendiatin betont: „Wir erhalten somit erste Aufschlüsse über die genaue Rolle Lambecks in der Erforschung und Erprobung medizinischer Präparate, basierend auf griechischen Rezeptur-Aufzeichnungen, die er für den Kaiser übersetzte.“
Heute, im digitalen Zeitalter, macht eine breite Palette an Internetdiensten soziale Netzwerke sichtbar, die jedoch ohne Interpretation nur im digitalen Regal verstauben. Erst die Analyse lässt die „intellektuelle Geografie“ ihrer Zeit erkennen. Dr. Feolas Untersuchung von Lambecks analogen Korrespondenz-„Tools“ im Rahmen ihres FWF Projekts zeigt, dass schon die Analyse einzelner Elemente die internationale Präsenz Österreichs als Forschungsland bereits im 17. Jahrhundert hervorheben kann – für das 17. Jahrhundert. Es bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Bedeutung Österreichs als Forschungspartner nicht erst in weiteren vier Jahrhunderten erkannt wird.
Quelle – Presseaussendung FWF: http://www.fwf.ac.at/de/public_relations/press/pv201110-de.html