Riesbecks „Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland“ über Bücher und Bibliotheken in Wien

In der Reihe „Die Andere Bibliothek“ ist gerade Johann Kaspar Riesbeck: Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris. Mit einer Nachrede von Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz (Berlin 2013) neu aufgelegt worden. Die Urfassung stammt aus dem Jahre 1783 und ist auch in Projekt Gutenberg – aber auch bei Google Books usw. – nachlesbar. Im Kapitel über seinen Aufenthalt in Wien finden sich die folgenden Bemerkungen zu Bücher und Bibliotheken in Wien:

… In der Stadt sind kaum acht Gebäude, die man schön oder prächtig heißen könnte. Unter denselben nehmen sich der Liechtensteinische Palast, die kaiserliche Bibliothek und die Reichskanzlei vorzüglich aus. …

… Der hiesige Hof hat verschiedene kostbare Sammlungen, die er alle das Publikum soviel als möglich genießen läßt. … Die Bibliothek ist ohne Vergleich die wichtigste und gemeinnützigste. Sie ist eine der zahlreichsten in der Welt und besteht aus mehr als 300.000 Bänden, worunter ohngefähr 12.000 kostbare Handschriften sind. Das Gebäude, worin sie aufbewahrt wird, ist eins der schönsten in der Stadt. Sie ist alle Tage, die Sonntage ausgenommen, von Morgen bis um 12 Uhr für jedermann offen. Die Liebhaber finden einen geräumigen Saal mit einem langen Tisch und gemächlichen Stühlen nebst Tinte und Papier, um die Bemerkungen aufschreiben zu können, die sie unter dem Lesen allenfalls machen. Ein Sekretär der Bibliothek weist sie in den Katalogen zurecht, und einige Livreebedienten des Hofes bedienen sie mit dem, was sie fodern, auf den Wink. Im Winter ist der Saal geheizt, und man hat ein besonderes Gestelle neben der Türe angebracht, worauf jeder das Buch, welches er ganz durchlesen will, an einen bestimmten Ort jedesmal hinstellen und des andern Tages finden kann. Wenn ein Liebhaber auch das ganze Jahr hindurch ununterbrochen die Bibliothek besucht, so wird doch keinem Bedienten einfallen, ein Trinkgeld von ihm zu erwarten. Kurz, dies Institut spricht mehr als jedes andre von der edeln und gemeinnützigen Denkensart des Hofes. Ist man einmal mit einem der Bibliothekare bekannt, von denen immer einer in einem Nebenzimmer zugegen ist, so hält es auch nicht so schwer, die verbotenen Bücher zu bekommen, als einige Leute wollen behaupten. Herr Pilati erzählt, man habe ihm gesagt, ohne einen Erlaubnisschein des Erzbischofs bekäme man kein gutes Buch. Man hat ihn irrig belehrt. Ich lese seit einiger Zeit die „Geschichte des Tridentinischen Konziliums“ von Bruder Paolo und habe Machiavells Werke schon durchgelesen, ohne den Herrn Erzbischof um Erlaubnis gefragt zu haben.

Nebst dieser Hofbibliothek gibt es noch verschiedene andere öffentliche Büchersäle. Der Buchhändler von Trattner kam auch auf den Einfall, ein gelehrtes Kaffeehaus in seinem großen Palast zu errichten. Er versprach den Subskribenten, alle Zeitungen, alle periodische Schriften und alle fliegenden Broschüren der gangbarsten lebenden Sprachen zu liefern. Vielleicht hätte dieser Plan den ersten Grund zu einer Akademie oder gelehrten Gesellschaft gelegt; allein die Subskribenten sahen bald, daß es mehr auf eine feine Beutelschneiderei als auf ein nützliches Institut hinauslief. Dieser Herr von Trattner ist überhaupt ein sonderbarer Mann. Er zwingt die Professoren, ihm ihre Manuskripte in Verlag zu geben, und zahlt ihnen keinen Kreuzer dafür. Als Hofbuchhändler behauptet er, das Recht dazu zu haben, und die Gunst der Kaiserin, die er sich auf eine unbegreifliche Art erwerben konnte, machte ihn zu einem kleinen Tyrannen aller hiesigen Buchhändler und Gelehrten. Bei dem großen Ton, den er affektiert, schämt er sich nicht, zu den niederträchtigsten Kniffen seine Zuflucht zu nehmen. Er druckt mit kaiserlichem Privilegium hier Bücher nach, die mit kaiserlichem Privilegium in andern Provinzen Deutschlands gedruckt werden. Man sagte mir, er habe sogar die Kaiserin bereden können, der Verlag eines noch so gängigen Buches wäre für den Buchhändler kein Gewinn, und man müsse ihm einen Teil der Druckkosten vergüten, welches die gute Monarchin auch bei einigen Werken, deren Druck sie befördern wollte, getan haben soll. Sosehr er der Kaiserin auf einer Seite schmeichelt, so ungehorsam ist er ihr auf der andern. Durch ihn kommen die meisten verbotenen Bücher in die Stadt. Wenn du es ihm teuer genug bezahlest, so kannst du die“Academie des dames“, den „Dom B…“, die „Pucelle d’Orléans“, den „Portier des chartreux“ und die ganze skandalöse Bibliothek bei ihm haben.

Die Lektüre des hiesigen Publikums, überhaupt genommen, ist äußerst fade. Es ist lange nicht wie bei uns, wo man Montesquieus „Esprit des lois“, Voltaires Universalgeschichte, Rousseaus „Contrat social“ und ähnliche Werke in Händen von Leuten findet, die gar keinen Anspruch auf Gelehrsamkeit machen. Hier sind viele Gelehrte, die diese und ähnliche Bücher nicht kennen und die es einigen vom hohen Adel und einigen Offiziers überlassen, sich mit denselben abzugeben. Bouffonnerien machen hier ganz allein ihr Glück, und auch der bessere Teil des lesenden Publikums schränkt sich auf Schauspiel, Romanzen, Feenmärchen und dergleichen mehr ein. Ich kenne ein ganzes Dutzend junger Gelehrten, wie man diese Kreaturen hier heißt, die außer der Schule nichts als einige deutsche und französische Dichter gelesen haben. In dem Lesesaal der kaiserlichen Bibliothek machte ich einigemal einen Tour um den Tisch herum, um den Geschmack der vielen Leser kennenzulernen. Zwei bis drei von ohngefähr vierundzwanzig lasen alte Schriftsteller, einer las Sullys „Memoires“, und alle übrigen hatten weder mit der Geschichte noch mit Alten, noch mit sonst etwas zu tun, das einer wirklichen Wissenschaft ähnlich wäre. Dramaturgien, Gesänge, Romanen und solche Dinge bedeckten den ganzen Tisch. Einige wenige hatten kostbare Werke, aber, wie man deutlich sehen konnte, bloß um mit Besichtigung der Altertümer von Herculanum oder der florentinischen Sammlungen einige müßige Stunden zuzubringen. Ich sah verschiedene Male einige Ungarn am Tische, die mit ihrer Lektüre alle Deutschen beschämten, die zugegen waren. Die ließen sich ihre seltensten vaterländischen Geschichtschreiber geben, und man sah in ihrer Miene, daß sie ihren Verstand mit der Lektüre nährten und ihr Herz zugleich wärmten. Sollte nicht die Regierungsverfassung etwas beitragen, daß die Ungarn, wie ich ziemlich allgemein bemerkt habe, mehr Vaterlandsliebe haben und folglich auch mehr auf die Geschichte ihres Vaterlandes achten als die Österreicher? Unter diesen hab ich noch keinen auffinden können, der an der Geschichte seines Vaterlandes einen besondern Geschmack fände. …

Die katholischen Pfaffen, die etwas entfernt von großen Städten sind, geben den griechischen in der Unsittlichkeit und Unwissenheit wenig nach. Die Wolle ist auch das Vornehmste, worauf sie beim Hüten ihrer Schafe ihr Augenmerk richten. Ihr Brevier ist ihre ganze Bibliothek und die lateinische Sprache ihr einziges Studium. …

Text aus Projekt Gutenberg: http://gutenberg.spiegel.de/buch/4921/8

Zu Riesbeck: http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Kaspar_Riesbeck

http://www.die-andere-bibliothek.de/Foliobaende/Briefe-eines-reisenden-Franzosen-ueber-Deutschland-an-seinen-Bruder-in-Paris::622.html

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