Von Fischen, Vögeln und Reptilien
Meisterwerke aus den kaiserlichen Sammlungen
24. November 2011 – 29. Jänner 2012
[ÖNB/Presse] Die aktuelle Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek zeigt unter dem Titel Von Fischen, Vögeln und Reptilien. Meisterwerke aus den kaiserlichen Sammlungen beeindruckende Tierillustrationen des 16. und 17. Jahrhunderts.
Nach Abschluss eines mehrjährigen Restaurierungsprojektes werden zum ersten Mal zwei bedeutende Hauptwerke gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert: ein faszinierendes „Bestiaire” mehrerer Künstler, das sogenannte Museum Rudolfs II., sowie die prachtvollen Aquarelle der Fauna des adriatischen Meeres, die von Ferdinand II., Erzherzog von Tirol, bei dem Maler Giorgio Liberale in Auftrag gegeben wurden.
Bestiaire – das Museum Kaiser Rudolfs II.
Im 16. Jahrhundert galten die europäischen Höfe – neben den Universitäten – als geistige Forschungszentren. Auch Kaiser Rudolfs II. (1552–1612) versammelte an seinem Hof in Prag zahlreiche Gelehrte unterschiedlichster Herkunft um sich.
Rudolf II. trug in seiner umfangreichen Kunst- und Wunderkammer bemerkenswerte und seltene, kuriose sowie exotische Werke aus der Natur oder künstlerisch bearbeitete Materialien zusammen. Wie ein theatrum mundi sollten diese frühen musealen Räume die große Welt als Mikrokosmos in einem Saal widerspiegeln. Schwer konservierbare Objekte fanden als Malereien in Tieralben oder als Präparate Eingang in die Sammlungen dieser Wunderkabinette. Das Bestiaire Rudolfs II. ist diesen Bestrebungen zuzuordnen und vereint in zwei Bänden 181 Ölbilder von heimischen und exotischen Tieren. Einem gemalten Tiergarten gleich wurden die verschiedenartigen Tiere des Reiches abgebildet. Sie zeichnen sich durch eine unvergleichliche natürliche Farbigkeit aus und die Mimiken, die an menschliche Gesichtszüge erinnern, verleihen den Gemälden eine bemerkenswert ergreifende Lebendigkeit. Neben realen Tieren wurden auch Drachen und Einhörner, deren Ursprünge in Mythen und Sagen liegen, als Bildmotive aufgenommen.
Der große Umfang, die vielfältigen Malstile sowie der lange Entstehungszeitraum des Bestiaires von circa 1570–1611 lassen auf mehrere Künstler schließen, die an der Entstehung dieses Werkes beteiligt waren. Neben Prager Hofkünstlern wie Daniel Fröschel (1563–1613) lassen Vorstudien den Einfluss von Hans Hoffmann (1530–1591/92) und Giuseppe Arcimboldo (1526–1593) vermuten.
Darüberhinaus demonstrieren weitere, im Prunksaal ausgestellte Kunstalben die variantenreichen und imposanten Bildwelten der damaligen Künstler Highlights des Bestiaires und der weiteren Sammlungen Kaiser Rudolfs II.
Der bildliche Versuch, das Skelett eines Drachens aus den Knochen einer Katze und eine Vogels zu konstruieren, zeigt in dem Bestiaire exemplarisch in einmaliger Weise die Bestrebungen, die unterschiedlichen Tendenzen der Naturforschung miteinander zu vereinen. Dieses Fabelwesen ist auch der Versuch, fantastische Gestalten aus Legenden oder unbekannte Wesen aus den Reisebeschreibungen ferner Länder greifbar zu machen.
Zudem geben zeitgenössische Naturgeschichten und enzyklopädische Werke aus den weiteren Sammlungen Rudolfs II. Einblicke in die zeitgenössischen wissenschaftlichen Methoden. Ein Beispiel dafür ist das Skelett eines Menschen und eines Vogels von Pierre Belon.
Ein weiteres Highlight aus der Sammlung Rudolfs II. ist das Aquarell eines Taschenkrebses von Jacopo Ligozzi (1547–1627), der imposant und überlebensgroß dargestellt wird und den Eindruck vermittelt, direkt aus dem Bild heraus dem Betrachter entgegenzukriechen.
Ein äußerst gelungenes Werk ist auch das Aquarell des Gelbhaubenkakadus eines unbekannten Künstlers, das sich in einem Album mit eingeklebten Skizzen befindet. Die feine Zeichnung, die sensible Wiedergabe des Federkleides wie auch der anmutige Gesichtsausdruck mit dem direkten Blick auf den Betrachter verleihen dem Tier eine erstaunliche Unmittelbarkeit.
Allen Darstellungen gemein ist der besonders lebendige Ausdruck der herausragenden naturalistischen Darstellungen, der die Faszination dieser Bilder ausmacht.
Tieraquarelle der Fauna des adriatischen Meeres von Erzherzog Ferdinand II.
Die visuell außergewöhnliche Umsetzung von akribischer Tierbeobachtung in minutiösen Abbildungen lässt sich an dem Tieralbum von Erzherzog Ferdinand II. (1529–1595) besonders gut nachvollziehen. Es bildet naturalistische Darstellungen der Meeresfauna des adriatischen Meeres ab.
Die 100, zumeist beidseitig bemalten Aquarelle lassen die Verbindung von künstlerischen Interessen und naturwissenschaftlichen Qualitäten anschaulich erkennen.
Der aus dem Friaul stammende Künstler Giorgio Liberale (1527– vor 1580) illustrierte an die 1100 Tiere der adriatischen Meeresfauna, häufig als lebensgroße Abbildungen. Die Kompositionen präsentieren die Tiere vor schlichten, den Strand imitierenden Hintergründen oder vor reich ausstaffierten Landschaften in prunkvoll gemalten Rahmen. Insbesondere in der Wiedergabe der Oberflächen werden die ästhetischen Aspekte der Gestaltung erkennbar. Fein verlaufende Farbübergänge, das schillernde Spiel von Licht und Schatten wie auch die malerischen Ausformungen einzelner Schuppen und Strukturen, die zu ornamentalen Arabesken werden, erzeugen eine einnehmende Wirkung. Auf besonders raffinierte Weise vermittelt Liberale einen lebensnahen Eindruck, indem er die Tiere teilweise die Rahmen überschneiden lässt, als würden sie aus der Bildfläche heraustreten. Darüberhinaus bildet er einige Tiere, wie beispielsweise einen Krebs, deckungsgleich auf einer Folioseite – mit der Sicht von oben – sowie auf der anderen Pergamentseite – mit der Sicht von unten – ab. Dadurch entsteht beim Umblättern der Eindruck, als wende man das reale Objekt.
Herausragende Tieraquarelle aus der Sammlung von Erzherzog Ferdinand II.
Das Bild des Nilkrokodils von Giorgio Liberale besticht zum einen durch die präzise Darstellung des Tieres, zum anderen beleuchtet es den kulturellen Hintergrund. Der Totenkopf im Vordergrund weist auf die symbolischen Zuschreibungen hin. Die Ideallandschaft mit den erhaltenen Überresten antiker Bauwerke im Hintergrund deutet auf die Renaissance hin und das mit ihr wieder aufgekommene Interesse an den theoretischen Schriften dieser Zeit.
Ein anschauliches Beispiel für Liberales Kompositionskunst bietet die Darstellung zweier Seeteufel. Dabei wurde der linke Fisch so abgebildet, als sei er an einem Ast befestigt, wodurch die Ansicht der
Oberfläche wiedergegeben werden konnte. Der liegende Fisch weist eine scheinbar menschliche Mimik auf und verleiht dem Bild Lebendigkeit.
Zwischen künstlerischer Ästhetik und wissenschaftlicher Objektivität
Die präsentierten Werke gehören zu einer Epoche, die durch einen geistesgeschichtlichen Umbruch geprägt war. In der Frühen Neuzeit kam es zu einer Neubewertung der philosophischen antiken Schriften und damit zu einer Vorbildwirkung. Ausgehend von der Naturalis historia von Plinius dem Älteren (um 23–79 n. Chr.), der das Naturwissen seiner Zeit zusammenfasste, entwickelte sich ein neues Interesse an der Natur und ihrer Erforschung. Das bislang religiös mythologisch geprägte Weltbild wurde abgelöst. Tierabbildungen waren bis dahin hauptsächlich im Rahmen von höfischen Werken wie Jagdlehrbüchern zu finden. Durch die neuartige Beurteilung entwickelten sich Tierdarstellungen vom dekorativ-symbolischem Beiwerk zu eigenständigen Bildthemen. In den ersten gedruckten Naturgeschichten des 16. Jahrhunderts wurden die erläuternden Texte mit illustrierenden Druckgrafiken versehen.
Die beiden in der Ausstellung präsentierten Hauptwerke boten hingegen viel exaktere Arbeitsmittel für Naturforscher, da die Tierbilder erstaunlich realistisch wiedergegeben wurden. Außergewöhnlich sind vor allem ihre präzise Detailliertheit sowie ihre wirklichkeitsnahe Farbigkeit, die erst durch das genaue Studium der Natur möglich waren. Die gemalten Tierdarstellungen dienten Forschern als Dokumentation ihrer Beobachtungen, die die Basis von Austausch und Diskussion untereinander war. Diese Bilder aus dem Reich der Tiere spielten somit eine wichtige Rolle für die Entwicklung der frühen scientific communities, aus denen sich die heutigen Wissenschaftsdisziplinen herausbilden konnten.
Die Ausstellung zeigt auf beeindruckende Weise die Verbindung der naturwissenschaftlichen Funktion und der künstlerischen Ästhetik dieser Tierbilder zu herausragenden Werken. Einige der schönsten Ergebnisse sind in dieser Sonderschau zu sehen.
Pressemeldung ÖNB: http://www.onb.ac.at/ausstellungen/von_fischen/index.htm
Ö1 dazu: http://laos.orf.at/artikel/291434