Justus Haucap, Ina Loebert, Gerald Spindler und Susanne Torwart:
Ökonomische Auswirkungen einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht (= Ordnungspolitische Perspektiven 86), Düsseldorf University Press 2016.
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Die Studie hat insbesondere 303 wissenschaftliche Bibliotheken und 133 Stadtbibliotheken in Deutschland befragt.
Aus der Zusamenfassung:
Als zentrale Punkte hinsichtlich der Erweiterungswünsche wissenschaftlicher Bibliotheken lassen sich daher die folgenden Punkte benennen:
- Vereinfachte elektronische Lieferungen von Zeitschriftenaufsätzen an Angehörige und Mitglieder von wissenschaftlichen Einrichtungen,
- Digitalisierung ganzer urheberrechtlich geschützter Werke (z. B. für Semesterapparate),
- Genehmigungsfreies Text Mining und Data Mining.
Die Studie analysiert zudem, ob und auf welche Art und Weise die Interessen der Akteure durch eine Erweiterung der Schranken des Urheberrechts in der Wissenschaftskommunikation tangiert werden. Als Reaktion auf die Ausweitung einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke lassen sich aus ökonomischer Sicht folgende Aspekte festhalten:
- Da Wissenschaftler heutzutage einem Publikationsdruck unterliegen (Publish or Perish), dürfte weder die Erweiterung der bestehenden Schrankenregelungen, noch die Implementierung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke eine negative Auswirkung auf die Publikationsanreize entwickeln.
- Die Wissenschaftsbibliotheken werden voraussichtlich ihr Anschaffungsverhalten ändern und ihre Bestände spezialisieren. Eine Reduzierung der Erwerbungsetats ist jedoch nicht zu erwarten.
- Eine Erleichterung des elektronischen Leihverkehrs für Zeitschriften führt nicht zu einer spürbaren Reduktion der Erlöse von Verlagen, da dieser „Gefahr“ über Preisanpassungen und einer noch stärkeren Umstellung auf zugriffsbasierte Abrechnungsmodelle entgegengewirkt werden kann.
- Im Fall der Monographien ist ebenfalls nicht mit einem Rückgang der Erlöse durch den möglichen Verleih von E-Books zu rechnen, sondern ebenfalls mit Preisanpassungen.
- Die Einführung der allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke dürfte für die Verlagsbranche insgesamt erlösneutral ausfallen.
Hierfür sind folgende Gründe zu benennen: (1) Die relativ statische Entwicklung der Erwerbungsetats von Bibliotheken, die primär durch andere Faktoren als die Preise gesteuert werden, (2) die erhebliche Marktmacht vieler Verlage (aufgrund der geringen Substituierbarkeit wissenschaftlicher Fachliteratur), die eine umfangreiche Preisdifferenzierung ermöglicht, sodass veränderte Nutzungsrechte sich sehr leicht in ver- änderten Preishöhen und Preisstrukturen als auch in veränderten Geschäftsmodellen abbilden lassen, sowie (3) die geringe Relevanz der Erlöse für die Urheber selbst, deren primäre Motivation in der möglichst umfangreichen Verbreitung ihrer Ideen und Erkenntnisse besteht. Das Zusammenspiel dieser drei Faktoren ermöglicht den Verlagen bereits heute hohe Renditen, die von vielen Wissenschaftlern und Bibliotheksvertretern kritisiert werden. Gleichwohl ist nicht zu erwarten, dass sich dies durch eine veränderte Schrankenregelung erheblich ändern wird, da Preisanpassungen und Preisdifferenzierung für Verlage nicht schwierig durchzusetzen sind, wie die Erfahrungen der letzten 20 Jahre sehr deutlich zeigen.
Aus wohlfahrtsökonomischer Sichtist zudem anzumerken, dass der gesamtgesellschaftliche Nutzen auch dadurch steigt, dass mit den eingesetzten Mitteln mehr Nutzer einfacher auf Publikationen zugreifen können. Dadurch sinken unnötige Transaktionskosten, der Zugang zu wissenschaftlicher Literatur wird einfacher und benutzerfreundlicher durch einfachere Regelungen, was wiederum den wissenschaftlichen Output anregt und das Lernen erleichtert. Durch eine Schranke wird das Merkmal der Nicht-Rivalität Güter wieder stärker hervorgehoben und das geschaffene Monopol und sein potenzieller Missbrauch wieder zurückgedrängt.
Aufgrund dieser Tatsache ergibt sich für die rechtspolitische Sicht, dass eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke realisierbar ist. Allerdings kommt es für die Ableitung von Empfehlungen aus rechtspolitischer Sicht sodann darauf an, ob nur nationale Regelungen oder auch europäische Reformen in den Blick genommen werden sollen.
Eine übersichtliche Darstellung zur Studie: https://irights.info/artikel/urheberrecht-versus-bildung-und-wissenschaft-forscher-weisen-wege-aus-dem-dilemma/27755