IFLA-Stellungnahme zur Kompetenzbildung im Urheberrecht (2018)

Diese Grundsatzerklärung der IFLA richtet sich an Regierungen (auch zwischenstaatliche Organisationen), Bibliotheken, Bibliotheksverbände und bibliothekarische Ausbildungsstätten. Sie unternimmt den Versuch, das Konzept der Copyright Literacy im Urheberrecht und seine Wichtigkeit innerhalb der Bibliotheksarbeit zu erklären und Empfehlungen für Verbesserungen abzugeben.

Urheberrechtsgesetze mit angemessenen Grenzen und Ausnahmen sind für die Arbeit von Bibliotheken von besonderer Bedeutung, da sie Tätigkeiten wie den Zugriff auf Information, Leih- und Kopiervorgänge, sowie die Bestandserhaltung erst ermöglichen. Über keinerlei oder nur unzureichende Regelungen für Bibliotheken zu verfügen, schränkt unsere Einrichtungen bei der Ausführung ihres Auftrags, dem gesetzmäßigen Zugänglichmachen von Information, auf ernstzunehmende Weise ein.

Dennoch werden die Erfahrungen unserer Nutzer*innen ebenso sehr davon geprägt, wie Bibliotheken die Gesetze interpretieren und anwenden, wie vom Gesetzestext selbst.

Der Code of Ethics for Librarians and Other Information Workers [1] der IFLA unterstreicht, dass es neben der Verantwortung, intellektuelles Eigentum anzuerkennen, eine weitere Pflicht gibt, die darin besteht, dem Recht der Nutzer*innen auf den Informationszugang keine unnötigen Restriktionen aufzuerlegen. Kurzum: Bibliotheken sollten alle Möglichkeiten zum Zugang zu Information und Bildung nutzen, die ihnen das Gesetz zur Verfügung stellt.

Um dies zu tun, müssen Bibliothekar*innen und Kolleg*innen aus anderen  Informationseinrichtungen versiert im Umgang mit dem Urheberrecht sein. So können sie am effektivsten sowohl ihren eigenen Funktionen und Pflichten nachkommen, als auch ihren Kolleg*innen und Nutzer*innen Unterstützung bieten.

Copyright Literacy lässt sich definieren als hinreichende Kenntnis des Urheberrechts, welche gut informierte Entscheidungen darüber zulässt, wie urheberrechtlich geschützte Materialien genutzt werden können.[2] Copyright Literacy umfasst das Verständnis von der Struktur, der Wirkung und den Implikationen des Urheberrechtssystems, wenn sich Gesetze, Praktiken und die Erwartungen der Nutzer*innen verändern. (Weiter-)Bildung im Bereich Urheberrecht entspricht dem Prozess, die eigene Copyright Literacy zu entwickeln und auf den neuesten Stand zu bringen.

Copyright Literacy ist ein wichtiges Thema für alle Bibliothekstypen. Beispielsweise kann es auf öffentliche Bibliotheken und Schulbibliotheken zukommen, die eigenen Nutzer*innen, Mitarbeiter*innen und andere Betroffene darüber aufzuklären, was sie kopieren oder nutzen dürfen; auch müssen diese Bibliotheken barrierefreie Werkskopien für Menschen mit Einschränkungen herstellen, oder bildungserzieherische Services bereitstellen (einschließlich Einrichtungen wie Maker Spaces).

Bibliotheken mit umfangreicheren Dienstleistungen betreiben vielleicht, neben anderen Dingen, Repositorien und Massendigitalisierungsprogramme, betreuen die Pflichtabgabe, engagieren sich in der Dokumentenlieferung, und verhandeln Verträge für digitale Inhalte. Alle Bibliotheken müssen über Wissen im Urheberrecht verfügen, was auch seine Anwendung auf neue Verwendungszwecke oder Materialarten beinhaltet. Der Mangel an Wissen resultiert möglicherweise in der falschen Anwendung des Gesetzes, was dann wiederum entweder in Gesetzesübertretungen oder in übermäßig restriktiven Einschränkungen dessen, was Nutzer*innen tun dürfen, resultiert.

Für alle Einrichtungen gilt, dass Bibliothekar*innen durchaus als Urheberrechtsexpert*innen wahrgenommen werden dürfen, und zu Bezugspersonen für diejenigen, die sie umgeben, werden. Es ist wahrscheinlich, dass sie mit ihrem Vorgehen und ihrer Einstellung andere beeinflussen, und auf die Beratung, die einer großen Menge an Nutzer*innen zuteil wird, einwirken. Zusätzlich verfügen Bibliothekar*innen über die Möglichkeit, institutionelle Richtlinien mitzugestalten – beispielsweise im Bereich Open Access – und Herangehensweisen zu unterstützen, die mit ihren eigenen Aufträgen übereinstimmen sowie dem IFLA Code of Ethics for Librarians and Other Information Workers.

Trotz allem zeigen umfangreiche Forschungsergebnisse,3 dass das Wissen im Bereich Urheberrecht bei Bibliothekar*innen höchst unterschiedlich ist, und dass es innerhalb des Berufsstandes großen Bedarf und hohe Nachfrage nach Trainings gibt. Über namentlich genannte (oder informelle) externe Urheberrechtsexperten zu verfügen, die die Bibliothekar*innen bei Bedarf hinzuziehen können, erweist sich als hilfreich im Umgang mit besonders komplexen Fragestellungen. Dennoch bedeutet ein höherer Grad an Copyright Literacy für den Berufsstand als ganzen, dass mehr Fragen von  Nutzer*innenseite schnell, sicher und rechtskonform beantwortet werden können.

Dies steht dem Reformbedarf nicht entgegen (und das sollte es auch nicht), und kann dazu dienen, die dringendsten Bedarfe zu ermitteln. Ja, je mehr Erfahrung Bibliothekar*innen im Bereich Urheberrecht erlangen, desto eher fühlen sie sich sicher darin, bei Urheberrechtsreformen mitzuwirken und darauf hinzuarbeiten.

Empfehlungen

Darauf aufbauend gibt die IFLA die folgenden Empfehlungen an Regierungen, Bibliotheken, Bibliotheksverbände und bibliothekarische Ausbildungsstätten ab:

Regierungen (und zwischenstaatliche Organisationen, sofern zutreffend) sollten:

  • für Haftungsbeschränkungen für Bibliothekar*innen und Kolleg*innen aus anderen Informationseinrichtungen sorgen, wenn sie guten Glaubens für bibliothekarische Zwecke handeln und das Tun ihrer Nutzer*innen unterstützen. Auch sollte ein sicherer Hafen in der digitalen Umgebung geschaffen werden. Dies verhilft den Bibliothekar*innen zu größerer Sicherheit in der Anwendung des Gesetzes.
  • sicherstellen, dass Bildungsangebote zum Urheberrecht, die sowohl Bibliothekar*innen ansprechen als auch die breitere Öffentlichkeit und von der Regierung finanziert werden, Ausnahmen, Einschränkungen und anderen Nutzungsrechten die gebührende Aufmerksamkeit widmen. Solche Programme sollten sich darauf fokussieren, was Nutzer*innen tun dürfen anstelle dessen, was sie nicht tun dürfen. So lassen sich Befürchtungen und Sorgen beim Gebrauch urheberrechtlich geschützter Materialien vermeiden. Die öffentliche Hand sollte Kampagnen unterstützen, die sowohl die Rechte der Rechtsinhaber*innen bestimmt als auch die Nutzungsmöglichkeiten der Nutzer*innen.
  • Längerfristig dafür sorgen, dass Urheberrechtsgesetze über einen einfach anwendbaren Rahmen von Einschränkungen und Ausnahmen verfügen, der Bibliotheken die Möglichkeit gibt, ihren Auftrag zu erfüllen, und es einzelnen Bibliotheksnutzer*innen erlaubt, die angemessene Nutzung urheberrechtlich geschützten Inhalts zu verstehen – insbesondere anhand einfacher, zielgruppengerechter Guides.

Bibliotheken sollten:

  • In Übereinstimmung mit dem geltenden Urheberrecht und unter Berücksichtigung legitimer Interessen von Rechteinhabern den Zugang zu Information und die Bestandserhaltung maximieren.
  • Die Entwicklung und Aktualisierung der Copyright Literacy ihrer Mitarbeiter*innen würdigen und wertschätzen.
  • Gelegenheiten nutzen und an diesen teilnehmen, um sicherzustellen, dass institutionelle Richtlinien und Praktiken mit Bezug zum Urheberrecht Informationszugang in Einklang mit dem Gesetz ermöglichen.
  • Dem IFLA Ethik-Kodex für Bibliotheks- und andere Informationsfachleute folgend, Lobbyarbeit für größere Ausnahmen und Schrankenregelungen betreiben, um den Zugang zu Information zu maximieren.
  • Workshops und Fortbildungen für Belegschaft und Nutzer*innen zu urheberrechtsbezogenen Themen anbieten, vor allem wenn es Änderungen der Gesetzeslage gab.
  • Sicherstellen, dass die gesamte bibliothekarisch arbeitende Belegschaft ein grundlegendes Urheberrechtsverständnis hat und dass in Erwägung gezogen wird, eine*n auf das Urheberrecht spezialisierten Bibliothekar*in einzusetzen, zum Beispiel für Urheberrechtsfragen aus anderen Zuständigkeitsbereichen.

Bibliotheksverbände sollten:

  • Sicherstellen, dass umfassende Copyright Literacy in den Anforderungen an das Bibliothekspersonal enthalten ist, dass sie mit bibliothekarischen Ausbilder*innen zusammenarbeiten und dass sie die Möglichkeiten untersuchen, Guidelines oder eine Zertifizierung bereitzustellen.
  • Lobbyarbeit für stärkere Ausnahmen und Schrankenregelungen betreiben, um den
    Informationszugang zu maximieren.
  • Als Foren für den Austausch von Expertise und Best-Practice auftreten, um den Standard der Versorgung mit urheberrechtlicher Bildung und, wo möglich, praktische Anleitungen zur Copyright Literacy für die tägliche Arbeit herstellen, ebenso wie Workshops und Konferenzen.
  • Empirische Daten zu Copyright Literacy Initiativen erheben und veröffentlichen, sowohl vor als auch nach dem Training, um eine ständige Verbesserung von Angeboten zur Bildung im Urheberrecht zu gewährleisten. Mit solchen Daten kann auch die Lobbyarbeit unterstützt werden.

Ausbilder*innen im Bibliotheksbereich sollten:

  • Sicherstellen, dass es eine ausreichende Abdeckung des Urheberrechts im Curriculum gibt, um alle Aspekte, die entscheidend für die bibliothekarische Arbeit sind, zu erfassen (inklusive nationalem und internationalem Kontext, soweit angebracht). Diese Aus- und Fortbildung muss den Kontext berücksichtigen, in dem der/die Auszubildende Kenntnisse erwerben will, auch positive Rechte miteinbeziehen (zum Beispiel Text und Data Mining oder Fair-Use-Regelungen, soweit angebracht) und könnte auch weitere rechtliche Fragestellungen, wie Haftungsregelungen und  Datenschutz beinhalten.
  •  Mit den einschlägigen berufsständischen Organisationen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Verankerung von Copyright Literacy im Curriculum eine Anforderung für die Akkreditierung ist.

Befürwortet vom IFLA Governing Board am 20. August 2018.

[1] IFLA Code of Ethics for Librarians and Other Information Workers (2012): https://www.ifla.org/publications/node/11092. Mit dem Code of Ethics wird auch die Wichtigkeit unterstrichen, sich künftig stärker für Nutzungsrechte einzusetzen. Dabei sei anzumerken, dass Expert*innen ebenfalls eine ‚latent flexibility’ innerhalb des Urheberrechtsgesetzes festgestellt haben – Hudson (2019, im Erscheinen).

[2] “Acquiring and demonstrating the appropriate knowledge, skills and behaviours to enable the ethical creation and use of copyright material”, Secker und Morrison, (2016) p.211. Morrison und Secker definieren Copyright Literacy als “increasing range of knowledge, skills and behaviours that individuals require when working with copyright content in the digital age” (Morrison und Secker, 2015). Eine urheberrechtsgeschulte Person versteht durchaus die umfangreichere politische Debatte um das Urheberrecht und ist, auch wenn sie sich nicht notwendigerweise direkt mit Lobbyarbeit im Urheberrecht auseinandersetzt, in der Lage, den eigenen Ansatz mit der Geschichte und Entwicklung von Urheberrechtsgesetzen in Verbindung zu setzen. Dazu gehört auch ein Bewusstsein für die inhärenten Spannungen zwischen den verschiedenen Stakeholders.

[3] copyrightliteracy.org bietet eine Bibliographie rund um das Thema an:  https://copyrightliteracy.org/about2/international-copyright-literacy 

Quelle: https://www.ifla.org/files/assets/clm/statements/ifla-statement-on-copyright-literacy-de.pdf

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