Wie eine Führung durch die kaiserliche Hofbibliothek im späten Vormärz aussah, kann man dem Buch Vienna and the Austrians (1838) der englischen Reiseschriftstellerin Frances Trollope entnehmen, die 1836/1837 in Wien verweilte. Das Buch erschien 1838 in einer Übersetzung von Johann Sporschill auch in deutscher Sprache:
2003 wurde der Bericht gekürzt neu herausgegeben:
- Frances Trollope: Ein Winter in der Kaiserstadt. Wien im Jahrer 1836, hrsg. , bearb. und Vorwort von Gabriele Habinger, Wien 2003.
Der folgende Teil wurde der dt. Übersetzung von 1838 entnommen:
Siebenunddreißigster Brief
Wien den 27. November Die kaiserliche Bibliothek und ihre reiche Sammlung von Handschriften seltenen Ausgaben und so fort ist zu allgemein und zu genau bekannt als daß Du von mir einen langen Bericht über sie verlangen könntest. Ich werde daher nicht sehr gelehrt über diesen Gegenstand sprechen; undankbar müßte ich aber sein, wenn ich Dir nicht sagte, daß in Folge des glücklichen Zufalls, daß wir von dem Grafen G– durch die Säle begleitet wurden, die Stunden, die mir mit Besichtigung derselben vergingen, zu den angenehmsten gehören, die ich in Wien zugebracht habe. Dieser Cavalier bekleidet ein mit der Bibliothek in Verbindung stehendes Amt, dessen Namen ich jedoch nicht weiß wenn es aber eins ist, das umfassende Kenntnisse und tiefe Gelehrsamkeit fordert, so ist der Kaiser so glücklich, einen in jeder Beziehung dazu wohlgeeigneten Mann gefunden zu haben. Diese äußerst herrliche Sammlung besteht aus dreimal hunderttausend Bänden mit Ausschluß der Abhandlungen, und vermehrt sich natürlich täglich, da alle Werke, die in irgend einem Lande erscheinen, angekauft werden. Ich warf meine Blicke auf die Nummern des Quarterly und des Edinburg Review, hatte Lust mit ihnen durchzugehen, da ich nicht einmal ihre einladenden Einbände, seitdem ich England verließ, zu Gesicht bekommen habe. Das dieser Sammlung gewidmete, oder vielmehr sie im Jahre 1726 von Kaiser Karl VI. errichtete Gewbäude, bildet einen Theil der sich weit ausdehnenden und unregelmäßigen Burg, oder des kaiserlichen Pallastes. Man gelangt zu ihr aus der Residenz durch einen jener schönen. aber sehr schwer zu findenden Gänge, durch welche die Wohnung des Kaisers mit einer Menge von Gebäuden verbunden ist, die alle mittels ihrer von einander weit entfernten öffentlichen Eingänge ganz gesondert zu sein scheinen, nichts destoweniger aber sämmtlich Theile der Burg sind. Das öffentliche Thor zur Bibliothek befindet sich in einer Ecke des Burgplatzes und führt zu einer schönen, von einem eisernen Gitter eingeschlossenen Treppe über welcher die Inschrift steht: „Bibliotheca Palatina.“ Der Hauptsaal, 240 französische Fuß breit und 54 lang, ist wahrhaft großartig; er hat eine majestätische Höhe und in der Mitte einen ovalen, von acht marmornen Säulen getragenen Dom. Im Mittelpunkte steht ein Standbild Karls VI. und um dasselbe zwölf andere Statuen der Kaiser aus dem Hause Oesterreich. Die Wirkung ist äußerst imposant und würde es noch mehr sein, wenn nicht das stets zunehmende Bedürfniß nach Raum es nochwendig gemacht hätte, in diesem ganzen glänzenden Saale eine Menge Kabinete anzubringen, welche zwar an und für sich schön sind, aber in keinem Einklange mit den prachtvollen Verzierungen rings um sie sind. Alle Fächer dieser Kabinette sind doppelt und dreifach mit den besten neueren Werken gefüllt, und da diese sich beständig vermehren, so ist es wirklich zu errathen, welchen Ausweg man demnächst ergreifen wird, um sie unterzubringen. Anderswo würde man diese Schwierigkeit leicht überwinden, indem man einen neuen Saal erbaute, aber man muß nach Wien kommen, um zu begreifen, wie fast unmöglich es ist, einen Platz dafür zu finden. Uns in England, die wir, soweit unsere Erinnerungen zurückgehen, gewohnt sind, zu sehen, daß London sich nach allen Richtungen ohne Hinderniß über Felder, Haine und Parke ausbreitet, bis jede Idee einer Schranke für seine Bausteine und seinen Mörtel außer Frage gekommen ist, uns, sage ich, mag die Unmöglichkeit einen Platz zu finden, um einen einzigen Saal zu bauen, befremdlich vorkommen, nichtsdestoweniger sindet sie aber statt. In den anderen zu dieser Anstalt gehörigen Gemächern fällt dem Auge kein Prunk auf. Ein großes Zimmer ist für die Leser bestimmt, welche Bücher nach Belieben verlangen und aus ihnen Auszüge machen dürfen. Ein anderes Gemach enthält eine sehr werthvolle Sammlunq von Büchern von der Erfindung der Buchdruckerei bis zum Jahre 1500, im Ganzen 6000 Bände. Die Handschriften, welche außerordentlich zahlreich sind, befinden sich in zwei anderen Gemächern. Wir halten das Vergnügen, unter ihnen viele sehr interessamc Dinge zu sehen. Darunter gab es ein botanisches Werk aus dem achten Jahrhunderte mit bewunderungswürdig genauen Zeichnungen (den Zustand der damaligen Kunst in Betrachtung gezogen) und überraschend wohlerhaltenen Farben. Verschiedene orientalische Handschriften sind von großer Schönheit und viele Meßbücher würden einen langen, ihnen gewidmeten Tag reichlich belohnen. Eines der Letzteren hat außer dem ihm innewohnenden Interesse ein anderes, obschon jenes so groß ist, als nur immer herrliche Miniaturgemälde von der Hand des großen Albrecht Dürer und die Vollkommenheit der Farben es bewirken können. Die Legende sagt, daß eine gewisse schöne Gräfin St. Croix, welche diesen kostbaren kleinen Band in den kaiserlichen Händen Karls des Fünften gesehen hatte, ein so großes Wohlgefallen daran fand, daß sie den Kaiser bat, ihr ein Geschenk damit zu machen. Die Bitte wurde gewährt und eines der Blätter ist mit dem kaiserlichen Autograph geschmückt, welches jedoch besagt, daß das Buch dem Grafen St. Croix geschenkt sei. Dieses gnädige Memorandum ist „Karl“ unterzeichnet, in schönen großen Buchstaben, deren jeder wenigstens einen Viertel Zoll hoch ist. Von der Bibliothek gingen wir über den Josephsplatz nach der Niederlage der kaiserlichen Porzellanfabrik. Was man zu sehen bekömmt, ist schön … |
Quelle:
Zu Frances Trollope: