Deep Search. Politik des Suchens jenseits von Google

Das Buch wurde schon einmal im VÖBBLOG erwähnt:

World-Information Institute präsentiert Buch zur Politik der Suchmaschinen

Wien (OTS) - Information ist nutzlos, wenn sie nicht gefunden wird. Es ist kein Zufall, dass eine Suchmaschine wie Google zu einem der bedeutendsten Unternehmen des neuen Jahrhunderts werden konnte. Diese Maschinen bieten aber nicht nur praktische Hilfe in der Informationsflut. Hinter dem scheinbar neutralen Code dieser kognitiven Technologien steckt immer auch eine folgenreiche politische Philosophie.

„Deep Search“ befasst sich mit den sozialen und politischen Dimensionen unserer Navigation durch die Tiefen des
Informationsraums. Der vorliegende Band ist als Folgeprojekt einer Konferenz über die Politiken der digitalen Suche entstanden, die 2008 in Wien stattgefunden hat, und stellt einen Versuch dar, einen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten, die in den letzten Jahren in Gang gekommen ist. In 13 Texten platziert das Buch Suchmaschinen am Ende einer langen Geschichte von Versuchen, Ordnung in den stets fragilen Informationsuniversen zu schaffen. Es stellt
Sichtweisen vor, die mit den von diesen Suchmaschinen etablierten Paradigmen brechen. Der Sammelband formuliert eine breite Kritik der digitalen Suche, die über Google hinausgeht, auch wenn Google derzeit einen besonderen Platz in diesem Bereich einnimmt. Die monopolartige Stellung des Unternehmens in vielen Ländern der Welt wird durch fast wöchentlich erscheinende Produkte und Initiativen verstärkt – von der Digitalisierung von Millionen von Büchern bis hin zum Aufbau einer ganzen Kommunikationsplattform, die perfekt mit anderen Google-Diensten integriert ist. Nicht einmal eine vollständige Weigerung, Google zu verwenden, bietet einen Ausweg. Ein hoher Prozentsatz an Webseiten ist im Hintergrund mit diversen Google-Diensten verknüpft, und selbst wer seine Nachrichten noch auf bedrucktem Papier erhält, trifft dort immer noch auf Google. Doch wir hören immer mehr über die Gefahren einer derart machtvollen Einrichtung, die in so viele Bereiche unserer individuellen und kollektiven Existenz vordringt.

Fragen der Suche, der Klassifizierung und des Zugangs zu Information reichen jedoch viel weiter als das Geschäftsmodell eines einzelnen Unternehmens. In ihnen spiegeln sich historische Veränderungen (und Kontinuitäten) in unserer Beziehung zur Welt wider. Umso wichtiger ist es, darauf hinzuweisen, dass das Geschäftsmodell von Google nicht in erster Linie die Suche ist, sondern eindeutig die Werbung (die Quelle von 98% der Einnahmen des Unternehmens). Die Suche ist bloß eines der Produkte, das eine Umgebung schafft, in der detaillierte Nutzerprofile in Geld verwandelt werden können. Umso wichtiger ist es, sowohl die Hierarchien auf den Märkten als auch die Willkür der Werkzeuge, von denen wir abhängig geworden sind, zu erkennen. „Deep Search“ will den Blick auf die soziale und technische Konstruktion von Information und Wissen leiten: Wie wird computer-lesbarer Sinn geschaffen, und wie wird Bedeutung in der maschinellen Kommunikation behandelt? Welche Gefahren birgt die Abhängigkeit von Suchmaschinen – besonders, wenn sie von undurchsichtigen und aggressiven Monopolen betrieben werden – bei der Verwendung der durch sie gewonnenen Informationen? Und könnte das
alles auch ganz anders sein?

Geschichte und Suche: Hört auf zu suchen, beginnt zu fragen!

In vier Abschnitten beleuchtet das Buch verschiedene Aspekte der Politik des Suchens. Der erste Abschnitt widmet sich historischenDimensionen von Suchtechniken und Ordnungssystemen. So untersucht Paul Duguid welche wechselnden Regeln seit den ersten sumerischen Bibliotheken mit der Praxis des Suchens verbunden sind, und Robert
Darnton, Leiter der Universitätsbibliothek Harvard, platziert die Bibliothek als eine zentrale Einrichtung der Suche. Er geht von der Feststellung aus, dass Information immer instabil gewesen ist und dass jedes Zeitalter ein Informationszeitalter war, weil die jeweils spezifischen Formen des Umgangs mit Text großen Einfluss auf die Geschichte hatten. Dies öffnet den Blick dafür, dass Information sich niemals einfach nur auf externe Realitäten bezieht, sondern immer (auch) das Produkt spezifischer Speicher- und Wiedergabetechnologien ist. Geert Lovink greift Joseph Weizenbaums Feststellung auf, wonach „nicht alle Aspekte der Wirklichkeit mit dem Computer verarbeitet werden können. Sein Rat lautet: Hört auf zu suchen, beginnt zu fragen! Im letzten Beitrag zu diesem Kapitel zeigt Katja Mayer, dass das Linkanalyse-Verfahren, die Grundlage der meisten aktuellen Suchmaschinen, eine lange Geschichte hat und keinesfalls der bedeutende Durchbruch ist, als der es heute gerne geschildert wird.

Freiheit, Überwachung und Manipulation

Der zweite Abschnitt befasst sich mit Freiheiten. Suchmaschinen geben Menschen die Möglichkeit, riesige Informationsmengen zu nutzen, doch allein schon die damit einhergehende Zentralisierung macht sie zu Instanzen, die genau diese Freiheiten kontrollieren. Claire Lobet-Maris untersucht die Methoden der Technikfolgenabschätzung und formuliert aus dieser Perspektive die Frage, wie Suchtechnologien Gegenstand einer demokratischen Debatte werden könnten. Joris van Hoboken beurteilt die Regulierung von Suchmaschinen in der europäischen Gesetzgebung. Immer häufiger werden Suchmaschinen Ziele von Zugangsbeschränkungen zu Information, indem sie gezwungen werden, ihre Resultate zu zensurieren. Ein Grund, weshalb Google seine Dienste noch anbieten kann, ist daher seine große und mächtige Rechtsabteilung – eine Voraussetzung für die Arbeit in diesem Bereich, die die Chancen für Neueinsteiger auf dem Suchmarkt schmälern. Felix Stalder und Christine Mayer kehren zur Frage zurück, ob Suchmaschinen die Autonomie der Nutzer stärken oder schwächen. Ihr Zugang zu dieser Frage konzentriert sich auf das Thema Personalisierung, also der Zuschnitt von Diensten auf Nutzer und Anzeigenkunden aufgrund von extensiven Nutzerprofilen. Liegt darin eine Möglichkeit, die Tyrannei der Mehrheit zu überwinden, indem Information verfügbar gemacht wird, die nicht so populär ist – oder  wird die Autonomie der Nutzer reduziert, indem Überwachung und Manipulation durch soziales Sortieren vorangetrieben werden?

Macht, kognitive Pacht und der Zugang zum Index

Der dritte Abschnitt behandelt direkt Fragen der Macht. Zunächst untersucht Theo Röhle anhand von Begriffen Foucaults und der Actor-Network-Theorie die fragile Kombination aus Belohnung und Bestrafung, die Google einsetzt, um Webmaster unter Kontrolle zu halten. Röhle zufolge führe diese Strategie zu einem disziplinären Regime, welches eine bestimmte Norm für Web-Veröffentlichungen durchsetzt. Bernhard Rieder vom Pariser Institut für Hypermedien stellt fest, dass die Diskussion um die Macht der Suchmaschinen oft von einer großen Distanz zwischen technischen und normativen Zugängen beeinträchtigt wird, obgleich diese voneinander profitieren könnten. Seine technisch sensible normative Position spricht sich für Pluralität, Autonomie und Zugang aus und überrascht mit der Schlussfolgerung: Wir sollten Zugang zum Index fordern! Dies würde einer Vielfalt von Akteuren die Möglichkeit geben, die riesige Infrastruktur der Suchmaschinen (die äußerst schwer nachzubauen ist) zu nutzen, gleichzeitig aber alternative Ranking-Methoden einzusetzen (was vergleichsweise einfach ist). Mit dem darauf folgenden Beitrag Matteo Pasquinellis wird ein Schritt von einer liberalen zu einer radikalen Perspektive vollzogen: Pasquinelli untersucht, wie Google aus individuellen Handlungen und general intellect Mehrwert abschöpft und in Netzwerkswert und Reichtum verwandelt. Pasquinelli beschreibt diesen Vorgang anhand des Begriffs der „kognitiven Pacht“. Bei dieser geht es nicht mehr um geistiges Eigentum, sondern um einen auf „freie Kultur“ und „kostenlose Arbeit“ zugeschnittenen Begriff. Der letzte Beitrag in diesem Abschnitt stammt von Konrad Becker. In seinem frei assoziierenden Essay befasst er sich mit der Rolle von Klassifizierungssystemen als Technologien der Macht und betont, „Technologien der Wahrnehmung sind Ausdruck politischer Philosophie, maskiert als neutraler Code.“

Sichtbarkeit, Netzwerke und die Vergoogelung der Medien

Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit Fragen der Sichtbarkeit. Richard Rogers stellt eine schleichende „Vergoogelung“ der ganzen Medienlandschaft fest, wonach die Methoden, die Google zur Vorherrschaft verholfen haben, nun auch anderswo eingesetzt werden. Eine von Rogers vorgeschlagene Methode zur Beurteilung dieser Entwicklungen besteht in einer Auseinandersetzung damit, wie „geringfügige Veränderungen des Interfaces eine Politik des Wissens implizieren“. Metahaven, ein Forschungs- und Designstudio, wendet sich erneut der Soziometrik und dem vorherrschenden Paradigma zu, auf dem PageRank beruht. Anstatt sich jedoch auf die üblichen dicht verlinkten Knoten zu konzentrieren, stellen sie die Frage, „wie eine andere Sicht auf die gesellschaftliche Bedeutung von „schwachen Bindungen“ zu einer größeren Wertschätzung ihrer Relevanz in Netzwerken führen kann“. Anhand von fortgeschrittener Netzwerktheorie suchen sie nach Seiten, die engmaschige Cluster miteinander verbinden und die tatsächlich Zugang zur größtmöglichen Menge an Information herstellen könnten, da sie Welten
miteinander verbinden, die ansonsten voneinander getrennt sind. Das letzte Kapitel in diesem Abschnitt ist von Lev Manovich und hat dessen ehrgeiziges neues Projekt zur Grundlage. Er verabschiedet sich von der herrschenden Vorstellung, man solle das eine richtige Dokument finden. Manovich lässt damit die Logik der Ergebnislisten hinter sich und stellt neue Formen des Zugangs zu globalen digitalen Kulturen vor. Neue technische Entwicklungen und Durchbrüche im Bereich der Organisation, der Klassifizierung und der Analyse von großen Datensätzen markieren den Punkt, an dem die Geschichte auf die Zukunft trifft. Er erinnert uns daran, dass Freiheiten immer verteidigt und neu verhandelt werden müssen, und dass Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Autonomie und der der Befähigung aller dienen müssen.

Herausgeber Konrad Becker und Felix Stalder sind überzeugt: „Angesichts der rasanten Veränderungen auf diesem Sektor sollten wir uns wohl auf die strukturellen, langfristigen politischen Fragen konzentrieren, die mit dieser Entwicklung einhergehen.“ Eine zweite Konferenz in Wien ist bereits in Vorbereitung – auch „Deep Search II“ wird am 28.Mai 2010 wichtige Themen in diesem schnellen und dynamischen Feld aufgreifen. Sie wird die historischen Dimensionen der Versuche, Menschen und Informationen zu organisieren, beleuchten und sich mit der Politik der Suche, Konflikten und Dimensionen der Macht auseinandersetzen. Matthew Fuller von der University of London konstatiert: „Deep Search ist die bisher weitreichendste Sammlung von Erkenntnissen und Fragen zum neuen Universalgerät, der Suchmaschine.“ Auch Siva Vaidhyanathan, Autor von „The Googlization of Everything“, hält fest: „Diese Sammlung trifft den Kern der wichtigsten Herausforderungen in unserem globalen Informations-Ökosystem: Wird die ’soft power‘ von ein, zwei oder drei Unternehmen einen übergroßen, jedoch verborgenen Einfluss darauf haben, was wir als wichtig, schön oder wahr betrachten? Welche Möglichkeiten des Widerstandes gibt es? Welches sind die richtigen Perspektiven für Gesetzgebung, Politik und persönliche Entscheidungen? Dieses Buch führt uns durch diese schwierigen Fragen wie kein anderes vor ihm.“

Das Buch:

Deep Search. Politik des Suchens jenseits von Google
Konrad Becker/ Felix Stalder [Hrsg.] Studienverlag, 2009. 240 Seiten.

ISBN 978-3-7065-4794-9


Veranstaltungshinweise:

  • Buchpräsentation „IT Extrazimmer“ der WKO-Fachgruppe UBIT Wien

Freier Eintritt!

Datum: 30.3.2010, um 18:30 Uhr
Ort: Bauinnung
Wolfengasse 4, 1010 Wien

  • Podiumsdiskussion „Politik des Suchens jenseits von Google“

Freier Eintritt!

Datum: 28.4.2010, um 19:00 Uhr
Ort: Bruno Kreisky Forum für Internationalen Dialog
Armbrustergasse 15, 1190 Wien

  • Konferenz Deep Search II: The Digital Future of Finding Out

Die Konferenz Deep Search II konzentriert sich auf die historischen
Dimensionen der Versuche, Menschen und Informationen zu organisieren
und wird sich mit der Politik der Suche, mit Konflikten und
Dimensionen der Macht auseinandersetzen. Die Beschäftigung mit
zukünftigen Klassifikationssystemen jenseits von Suche, Tracking und
Systemen sozialer Empfehlungen, inklusiver neuer Formen von Pattern
Recognition in großen Datenmengen, wird ebenfalls einen Fokus der
Konferenz bilden.

Freier Eintritt!

Datum: 28.5.2010
Ort: Hotel Imperial Riding School Vienna
Ungargasse 60, 1030 Wien

Rückfragehinweis:
World-Information Institute
Institut für Neue Kulturtechnologien/t0
Operngasse 20b, A-1040 Wien

Quelle: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20100304_OTS0254/deep-search-politik-des-suchens-jenseits-von-google

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