Fast eine Liebeserklärung, aber nur fast: Christoph Ransmayr erinnert sich in der WELT ONLINE an seine Jahre in und mit Wien:
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Es bedurfte tatsächlich noch vieler, bis in die Jahre meines Philosophiestudiums an der Wiener Universität weitergeführten Expeditionen, um mir den Wiener Urwald vertraut, ja lieb zu machen. Natürlich wurde mir schon in diesen Studienjahren, die ich in einer feuchten Souterrainwohnung – blinde Drahtglasfenster auf Straßenniveau, keine Heizung, kein Warmwasser, keine Dusche – verbrachte, immer wieder bestätigt, dass ich in einem Palastdorf lebte, wie eine Frankfurter Freundin es nannte: am glanzvollen und dennoch dörflich gemütlichen Schauplatz einer imperialen Oper, deren Vorhang zwar längst gefallen war, deren Kulissen aber immer noch prunkten.
Tatsächlich konnte ich mich aus meiner Kellerwohnung nach Belieben in wohlig beheizte Paläste flüchten, als sei ich ein erbberechtigter Landjunker – an die sanft beleuchteten Arbeitstische der Universitäts- und Nationalbibliothek, in prachtvolle Lesesäle und verschwiegene Karteiräume noch in den verborgensten Winkeln der Hofburg, in die Saalfluchten des Kunsthistorischen und Naturhistorischen Museums oder die panoramagetränkten Galerien des Schlosses Belvedere – zur Erholung von so viel Kaiserlichkeit aber auch in die mit zerschlissenen Seidentapeten und Stuck geschmückten, zum Abbruch freigegebenen Gründerzeitresidenzen von Wohngemeinschaften, die zur Beflügelung philosophischer Gedanken nicht bloß oberösterreichischen Birnenmost und klare Schnäpse genossen, sondern mit gleichem Eifer auch selbstgezogenes, im Sonnenschein nackter Glühbirnen gereiftes Marihuana.
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Quelle: http://www.welt.de/welt_print/article3290186/Goldbehaucht.html