Parlamentsdirektion ließ Herkunft von 15.000 Bänden überprüfen
Wien (PK) – Der Kunstrückgabebeirat hat heute die Rückgabe von 37 Bänden aus der Parlamentsbibliothek an 20 RechtsnachfolgerInnen von Personen und Institutionen empfohlen, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren. „Den Empfehlungen des Kunstrückgabebeirates wird selbstverständlich entsprochen. Diese Bücher sind den rechtmäßigen Besitzerinnen und Besitzern so rasch wie möglich zurück zu geben“, so Nationalratspräsidentin Barbara Prammer.
Parlamentsgebäude wurde als Gauhaus der NSDAP genutzt
Im Auftrag der Parlamentsdirektion führten 2012 externe Experten des Vereins für wissenschaftliche und kulturelle Dienstleistungen unter der Leitung von Harald Wendelin umfassende Recherchen zur Provenienz der Bücher in der Parlamentsbibliothek durch und dokumentierten die Ergebnisse in einer Datenbank. Untersucht wurden rund 15.000 Bände auf im Sinne des Kunstrückgabegesetzes relevante Bestände (Erscheinungsdatum vor 1945, Erwerb nach dem 30.1.1933). Festgestellt wurde, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auch Bücher an die Bibliothek übergeben wurden, die aus Beständen stammen, als das Parlamentsgebäude als Gauhaus der NSDAP genutzt wurde. Die Bibliothek gab nachweislich ab 1946 Bände an ihre früheren EigentümerInnen zurück, sofern die vorgefundenen Bücher eindeutig zuzuordnen waren. Diese Bände sind daher heute nicht mehr vorhanden. Dokumentiert sind Rückgaben etwa an die Genealogische Gesellschaft Adler, die Israelitische Kultusgemeinde, das Museum für Volkskunde und den SPÖ-Parlamentsklub. Es wurden aber auch Bücher aus Gauhaus-Beständen in die Bibliothek einsigniert. Diese aus dem Bestand herauszufiltern und unter dem Blickwinkel des Kunstrückgabegesetzes zu untersuchen, war Aufgabe des externen Forschungsteams.
Folgende RechtsnachfolgerInnen von verfolgten Personen sollen 37 Bände, bzw. 29 Signaturen erhalten: Lily und Edwin Bader, Richard Beer-Hofmann, Auguste Goldschmid, Siegfried Graubart, Robert Holzinger, Paul Kisch, Hans Theodor Korolanyi, Felix B. Kraus, Ida Schnürer, Leopold Singer, Israel Taglicht, Hugo Tannenbaum, die Lese- und Redehalle jüdischer Hochschüler in Wien, die Bibliothek der Z.T.V. Avoda, die Trumpeldor-Bücherei Wien – Jugendbund Josef Trumpeldor, Edmund Weber, die Schwarz-Gelbe Aktion der Jugend im Reichsbund der Österreicher, der Verein der Vivisektionsgegner sowie die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG).
Intensive Suche nach ErbInnen und RechtsnachfolgerInnen
Für die Kontaktaufnahme mit den RechtsnachfolgerInnen bzw. die Erbensuche wird sich die Parlamentsdirektion an die Israelitische Kultusgemeinde und den Nationalfonds der Republik Österreich wenden. Sollten keine ErbInnen bzw. RechtsnachfolgerInnen gefunden werden, ist geplant, die Bücher an den Nationalfonds zu übergeben und durch die Parlamentsbibliothek rückzukaufen, analog dem Vorgehen der Österreichischen Nationalbibliothek.
Die Parlamentsbibliothek hat in einem Fall bereits Hinweise auf die ErbInnen nach Lily Bader gefunden. Lily Bader, geb. Stern (Wien, 22.8.1893 – New York, 1959), studierte ab 1914 Chemie und promovierte 1918 an der Universität Wien. Ab 1935 übernahm sie von ihrer Mutter die Leitung der „Stern’schen Mädchen-Lehr- und Erziehungsanstalt“. Die Schule in der Wiener Innenstadt war eine der ersten, die jungen Frauen eine höhere Bildung ermöglichte. Sie hatte einen ausgezeichneten Ruf und war im gesamten Raum der Monarchie so berühmt, dass es Wartelisten für die Aufnahme ins Internat gab und die Schülerinnen ausgesucht werden konnten. Nach dem Anschluss floh Lily Bader mit ihrer Familie nach England, wo sie erst als Hausgehilfin und später als Chemikerin in London tätig war. Nach der Emigration in die USA im Jahre 1940 bekam sie eine Anstellung als
Lehrerin an der Hudson School in Westchester, New York. Sie verfasste sogar ihre Memoiren auf Englisch, diese sind 2011 in deutscher Sprache erschienen. Dorit B. Whiteman, eine Tochter von Lily Bader, studierte in den USA Psychologie und eröffnete eine eigene Praxis in New York. Aus ihren Publikationen geht hervor, dass sie ab 1955 bis zum 5. Mai 2008 eine lange, schmerzliche Reise zurück nach Wien unternommen hat, die in der Aktion „A Letter To The Stars“ ihren bisherigen Höhepunkt gefunden hat. 2008 wurde Dorit B. Whiteman gemeinsam mit anderen Holocaust-Überlebenden im Parlament empfangen. Niemand hat zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass ein Buch aus der Bibliothek ihrer Eltern in den Regalen der Parlamentsbibliothek steht. Nationalratspräsidentin Prammer würde sich sehr freuen, Dorit B. Whiteman und ihren Töchtern dieses Buch mit den Politischen Briefen von Kronprinz Rudolf und dem Exlibris „Der Wunder höchstes ist…“ persönlich zu übergeben.
Die Empfehlungen des Kunstrückgabebeirates sind im Wortlaut auf der Website der Kommission für Provenienzforschung unter www.provenienzforschung.gv.at abrufbar.