Beim Durchblättern des ersten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder erschienenen Jahrgangs der österreichischen Zeitschrift „Juristische Blätter“ stieß ich auf einen Artikel eines Leobener Richters zum Thema „Standesfragen 1946“. In diesem gegen Ende 1946 publizierten Artikel berichtet er ziemlich schonungslos von den damals herrschenden Arbeitsverhältnissen bei den Gerichten. Er wollte dies festhalten, „weil das bisherige Schweigen der Standesgenossen dem künftigen Historiker sonst Anlaß zu der Vermutung geben könnte, es herrsche auch heutzutage im Gerichtsbetrieb ein normaler Zustand“. Dagegen wäre ein „völliger Mangel an Zeit zu schriftlichen Kundgebungen, und das Gefühl der Aussichtslosigkeit, dem Zustand der Überarbeitung abzuhelfen“, gegeben.
Aus rechtsbibliothekarischer Sicht interessant sind seine Hinweise auf die Art und Weise, wie man in der unmittelbaren Nachkriegszeit an juristische Literatur heran- bzw. nicht herankam:
„Die Bibliotheken sind völlig mangelhaft. Man arbeite einerseits mit veralteten österreichischen Gesetzesausgaben, andererseits mit überholten der Nazizeit. Vielfach bedarf es in geringfügigsten Kausen einer eingehenden Prüfung der gesetzlichen Grundlagen. Gilt noch das österreichische – gilt noch das reichsdeutsche Recht? Übersichten fehlen fast noch ganz. Neuausgaben auf dem heutigen Stand bekanntlich auch. Wer aber gar in der Ära des dritten Reiches außerhalb des Berufes stand, tut sich doppelt schwer. Ein kleiner Lichtblick ist das Wiedererscheinen der beiden juristischen Fachorgane, die man mit brennendem Interesse – nach Maßgabe der Freizeit – liest, um wieder ‚ins Laufende‘ zu kommen.“
Mit den beiden Fachorganen sind wohl die beiden zentralen österreichischen juristischen Zeitschriften gemeint, die 1946 wieder bzw. erstmals erschienen:
- Juristische Blätter
- Österreichische Juristenzeitung (Neugründung! 1. Jg. 1946)
Quelle: Egon Kittel, Standesfragen 1946, in: Juristische Blätter 68 (1946), S. 481-482.