Workshop in Gotha:
Folgenden Fragenkomplexen soll nachgegangen werden:
1. Durch die elektronische Vernetzung teilen sich Bibliotheken ihre Bestände immer mehr mit anderen Bibliotheken, Informationseinrichtungen und Datenbankanbietern, während sich der genaue Speicherort sowohl den Benutzern als auch Bibliothekaren entzieht. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die einzelne Bibliothek, auf das föderal aufgebaute deutsche Bibliothekswesen? Welche Aufgaben und welchen Wert werden Bibliotheken als Orte künftig haben? Werden sie ein austauschbarer und tendenziell überflüssiger Speicher oder ein musealer Raum? Können Sie als Ort den wissenschaftlichen Diskurs überhaupt noch inspirieren?
2. Jede historisch gewachsene Bibliothek zeichnet sich durch eine spezifische, unverwechselbare Tektonik aus. Die Digitalisierung betrifft (bislang) in der Regel hauptsächlich jene Werke, die nicht mehr dem Urheberrecht unterliegen und den historischen Kern der Bibliothek ausmachen. Werden deshalb gerade die zahlreichen historischen Sammlungen ihre bisherigen spezifischen Stärken verlieren, wenn letztlich alle handschriftlichen und gedruckten historischen Bestände digitalisiert sein werden? Wird es zu einem Sterben der kleinen wissenschaftlichen Bibliotheken, zumindest aber zu einem enormen Bedeutungsverlust dieser für das mitteleuropäische kulturelle Selbstverständnis wichtigen Sammlungen kommen? Was passiert mit denjenigen Beständen ohne großen intrinsischen Wert, die in vielen Bibliotheken parallel vorhanden sind?
3. Die Digitalisierung rückt aus Kostengründen das urheberrechtsfreie Buch in den Vordergrund. Welche Folgen wird dies für die moderne wissenschaftliche Literatur, ihre Produktion, Distribution und Nutzung haben? Wird diese noch, da nicht so komfortabel am Bildschirm benutzbar wie die ältere Literatur, überhaupt noch wahrgenommen? Oder führt die Digitalisierung am Ende zu einem „Wissenssprung nach hinten“? Wird es noch gesellschaftlich akzeptiertes Wissen außerhalb des Internets geben?
4. Bei Alten Drucken und Handschriften spielt ihre Dreidimensionalität eine gewichtige Rolle, die Surrogate nur unvollkommen abbilden können. Zur Textüberlieferung, die durch die digitale Präsentation primär tradiert werden soll, tritt beim Alten Buch die Exemplarebene (Provenienz, Marginalien usw.) hinzu. Dieser spezifische Quellenwert wird durch die Digitalisierung nicht abgedeckt, da dort in der Regel nur ein einziges Exemplar zugänglich gemacht werden soll. Wie beeinflusst und lenkt der technische Fortschritt damit gerade die historisch arbeitenden Kulturwissenschaften?
Quelle und genaues Programm: