Lösen kommerzialisierte „Jubiläen“ und politische Gedenkrituale die ernsthafte Auseinandersetzung mit Geschichte ab?
Wenn der amtierende Bundespräsident dem Staatsvolk in seiner Neujahrsansprache das Jahr 2018 eindringlich als bedeutungsschweren Gedenk- und Jubiläumsreigen vorstellt, wenn sein Amtsvorgänger als von der alten Bundesregierung eingesetzter Koordinator dieser Gedenkfeiern und (freiberuflicher) politisch-historischer Mahner eine erstaunliche Medienwirksamkeit entfaltet und wenn, schließlich, auch die ÖVP/FPÖ-Koalition den anstehenden Jahrestagen in ihrem Arbeitsprogramm fast eine ganze Seite widmet – dann legt sich die Historikerstirn am besten schon prophylaktisch in Sorgenfalten.
Denn 2018 wurde zum „Supergedenkjahr“ ausgerufen: Hamsterartig, als ob „100 Jahre Republik“ nicht ausreichten, muss daher eine ganze Reihe zum Teil überraschender Jahrestage (1848, 1938, 1948, 1968) abgegrast werden. Auch die akademische Historie, die gern behauptet, mit den berüchtigten Jahreszahlen wenig anfangen zu können, will sich der galoppierenden Jubiläumsvermarktung und der staatlichen Gedenkliturgie nicht mehr entziehen. …
Der Feierbedarf ist mittlerweile so groß, dass der Geschichtskommerz sogar die 65., 175. oder 650. Wiederkehr angeblicher Schlüsseldaten gierig aufgreift. Kulturkritiker diagnostizieren pandemische Jubiläumitis und Gedenkbulimie. …